Mensch, Pferd, Literatur

Juli 1, 2018

Lichtgeschwindigkeit 8270

Am Sonntag, 1. Juli 2018

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DIETMAR MOEWS, Ausschnitt aus ZUGINSFELD, Öl auf Leinwand

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Mensch, Pferd, Literatur

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Wer mal in früheren Zeiten Bauernhöfe, Scheunen und Stallungen erlebt hat, kennt die Gerüche der Viehställe – ein Schweinestall ist kein Ziegenstall, ein Hühnerstall ist kein Kuhstall. Was dem einen mehr oder weniger stinkt (Schweine, Ziegen) ist sozusagen Geschmacksache. Wir Meisten, unter uns, finden den Geruch eines Pferdes schön und anmutig. Auch ein leerer Pferdestall ist von all den Varianten ungepflegter Tierhaltung – wer mal in einer solchen Behausung vor Unwetter auf frischem Stroh Zuflucht gefunden hat, wird es bestätigen – ist der olfaktorische Beweis, dass Pferde zu recht Haustiere genannt werden. Ziegen oder Katzen eher nicht. Kaninchen geht, Katze stinkt. Ziege ist immerhin witzig. Wildschwein riecht nach Maggi. Die Gerüchte von Pumapisse kann ich persönlich nicht bestätigen.

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Gerwald Claus-Brunner (1972-2016) war ein echter „Pirat“, der mit dem Gründungsimpuls der Piratenpartei in Berlin mit blauer Latzhose, Kopftuch und Ohrring, der vom Land stammte, sich als Elektriker und wachem Verstand als einer der tüchtigsten „Piraten“ gezeigt hat, eigeninitiativ, zog einen eigenen Straßenwahlkampf auf, mit großen selbst aufgestellten Plakatwänden und seinem freisinnigen sozialdynamischen Wesen, das ihm große Achtung einbrachte, bei den wenigen Berliner „Piraten“ mit Menschenkenntnis. Dass Gerwald, auch „Faxe“ genannt, im Jahr 2016, immerhin als gewählter Piratenparlamentarier im Berliner Abgeordnetenhaus, vermutlich nach Selbsttötung, tot in seiner Wohnung lag, wo ein jüngerer Bekannter von ihm ebenfalls hingestreckt aufgefunden worden war, konnte nicht wirklich geklärt werden. Gerwald war ein hochsensibler Mensch – kein Mörder. Ihm wurden die Tötungsdelikte in den Massenmedien angelastet. So steht es jetzt bei Wikipedia. Wer weiß, welche Konflikte diese brutalen Lebensende bestimmt hatten?

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Auf dem Piratenpartei-Bundesparteitag im April 2012, in Neumünster, der der personellen Vorbereitung zum Bundestagswahlkampf 2013 gewidmet werden sollte, wo ich zum Ersten Vorsitzenden der Bundespiratenpartei kandidierte, und wo mich die Berliner Doofpiraten vor den laufenden Fernsehkameras zum „Holocaust-Leugner“ rufmordeten (im Spiegel, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, und der ganze Rattenschwanz der Lügenpresse), bis zum später bald von der Staatsanwaltschaft Berlin eingestellten Strafklage-Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung gegen Dr. Dietmar Moews, sagte Gerwald, bei seiner Unterschrift auf meiner Vorsitz-Nominierungs-Liste, zu mir: „Warum machst Du diese Piratenkämpfe – Du hast doch als Künstler was viel Besseres zu tun.“

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Der Literaturkenner Ulrich Raulff – einige Jahre Leitungsfunktionär des Deutschen Literaturarchivs in Marbach am Neckar – hat eine Fleißarbeit vorgelegt über Pferde. Raulff ist nicht eigentlich ein Pferdekenner, wie beispielsweise Dietmar Moews gewissermaßen von Hause ist, dessen Großvater Pferdehändler, Pferdezüchter und Trabrennpferdbesitzer war, das in Berlin Hoppegarten lief: GOLDLACK. Raulff ist Sekundärpferdler. Er hat viele Details aus der Literatur und aus Fachbüchern zusammengebastelt – eine Karteikasten-Maulwurfs-Literatur – aber immerhin erfährt man durch Raulff, was eine Remonte ist und welch ein Futterbeschaffungsproblem in Weltkrieg EINS nicht gelöst werden konnte, und weiteres, nicht systematisch, in Ulrich Raulff, „DAS LETZTE JAHRHUNDERT DER PFERDE – GESCHICHTE EINER TRENNUNG“, C. H. BECK, München 2015:

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„Der Exodus des Pferdes aus der Menschengeschichte ist ein erstaunlich unbeachteter Vorgang. Ganze Bibliotheken zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts schweigen sich aus über das Pferd, das gleichwohl in Europa und Amerika allgegenwärtig war – bis das letzte Jahrhundert der Pferde in der Zeit Napoleons anbricht und mit dem Ersten Weltkrieg ausklingt. (Raulff 2015)

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Was der Mensch von sich hält, was die Menschheit von den Menschen hält, und sich unter den Flügeln von Menschlichkeit adlergleich begräbt, ist angesichts all der abgeschnittenen Fingerkuppen und Nasenspitzen von Folteropfern die Heuchelei, die durch die Literatur geradezu zum wohlduftenden Cappuccino mit Häubchen und eine Idee Kakao fürs selbstgefällige Auge wirklichkeitsfremd dekoriert wird.

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Saint-John Perse gibt uns Trost aus der Tiefe der Naturschönheit des wilden Pferdes. Während Umberto Eco, der Kompilator aus angemaßter Qualität, Hässliches der Haut vom Leib vom Weib bringt, ohne noch zu einem eigenen Augenzwinkern des Zwerges, von den Schultern der Riesen herab, Geist generieren zu können. Ecos Bücher werden zukünftig von Computern auf Format gepastet, geschnitten und automatisch gelesen.

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Meine ausgewählte Kostprobe ist wie eine Arschkriechung Ecos an die Genderistinnen um Alice Schwarzer, hier >Der Name der Rose<, Hanser München, 1982, S. 575 u. 577. Soviel also zum angängigen LICHTGESCHWINDIGKEIT-Titel >MENSCH, PFERD, LITERATUR<

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MENSCH:

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„…während das Fest sich wandelte zum Massaker an der Schönen, aus diesem zugleich ein allgemeines Massaker geworden und hier nun das Endergebnis zu sehen: die Leiber (was sage ich: der Gesamtleib, der ganze irdische, sublunarische Corpus jener heißhungrigen und dürstenden Tischgenossen!) verwandelt zu einem einzigen toten Körper, zerfetzt und zermartert wie der Körper Dolcinos nach vollzogener Strafe, umgewandelt in einem glänzend-ekligen Schatz, ausgebreitet in seiner ganzen Länge und Breite wie die ausgebreitete Haut eines abgehäuteten Tieres, die jedoch weiterhin alle Organe wie versteinert in sich enthielte, die Eingeweide, die Muskeln und Nerven, ja selbst die Gesichtszüge. Die Haut mit all ihren Fältchen, Runzeln und Narben, mit ihren flaumigen Ebenen, mit dem Wald der Haare auf Armen und Bauch und auf der erschlafften Scham, die Brüste, die Nägel, die Hornbildungen an den Fersen, die feinen Wimperhärchen, die wässrige Substanz der Augen, das weiche Lippenfleisch, die schlanke Säule der Wirbel, die Architektur des Knochengerüstes – nun alles zu mehligen Staub geworden, ohne dass jedoch eines davon seine Form und seinen Bezug zu den anderen verloren hätte: die Beine entleert und schlaff wie zwei lange Strümpfe, ihr Fleisch ausgebreitet daneben wie ein Planet mit allen wimmelnden Arabesken der Adern, das verschlungene Gewölle der Innereien, der feuchtschimmernde Rubin des Herzens, die perlweiße Prozession der Zähne, gleichmäßig aufgereiht zu einer Halskette mit der Zunge als rotblauem Anhänger, die Finger säuberlich nebeneinandergelegt wie Wachskerzen, der Stempel des Nabels als Verknotung der Fäden des ausgebreiteten Bauchdeckengeflechts… Von allen Seiten grinste, rannte, lockte er jetzt in der Krypta, dieser rote Gesamtleib, dieser auf Schreine verteilte und dennoch wieder zu seiner weiträumigen und irrationalen Totalität zusammengefügte Makrokörper, der mich zum Tode einlud, und war doch derselbe Körper, der eben noch an der Tafel gespeist und obszöne Kapriolen geschlagen hatte; hier aber erschien er mir starr und reglos in der Unberührbarkeit seines dumpfen und blinden Verfalls. Und plötzlich stand Ubertin neben mir, ergriff meinen Arrn, bohrte mir fast seine Nägel ins Fleisch und raunte: „Siehst du, es ist dasselbe!“ Was vorher in seinem Wahn triumphierte und sich ergötzte in seiner Lust: Hier liegt es nun, bestraft und belohnt, befreit von den Verlockungen der Leidenschaften, erstarrt für alle Ewigkeiten, dem ewigen Eis übergeben zur Konservierung und Purifizierung, dem Zerfall entzogen durch den Triumph des siegreichen Zerfalls, denn nichts und niemand kann mehr zu Staub reduzieren, was bereits Staub und Mineralsubstanz ist … Und sie zeigte mir – Gott vergebe mir – ihre Vulva, und ich kroch hinein und befand mich in einer prächtigen Höhle, die mir erschien wie das liebliche Tal des Goldenen Zeitalters, taufrisch von klaren Bächen und Früchten und Bäumen, auf denen der Kassschmarrn wuchs. Und alle Gäste bedankten sich bei dem Abt für das schöne Fest und zeigten ihm ihre Zuneigung und ihren Übermut, indem sie ihn stießen und traten und ihm die Kleider vom Leibe rissen und ihn zu Boden warfen und auf ihm herumtrampelten und ihn mit Ruten die Rute schlugen, wobei er wiehernd lachte und bat, sie sollten aufhören, ihn zu kitzeln. Und rittlings zu Pferde, auf Pferden, die gelbe Schwefelwolken aus ihren Nüstern bliesen, stürmten die kleinen Brüder des armen Lebens herein und hatten am Gürtel pralle Geldbörsen voller Gold, mit dem sie die Wölfe in Lämmer verwandelten und die Lämmer in Wölfe, die sie zu Kaisern krönten unter dem Beifall des zur Volksversammlung versammelten Volkes, das von morgens bis abends Loblieder auf die Macht und Herrlichkeit Gottes sang. >Ut cachinnes dissolvatur, torqueatur rictibus!< schrie Jesus und fuchtelte mit der Dornenkrone („Dass durch Gelächter gelöst, durch aufgerissene Münder verdreht werde“). Da erschien Papst Johannes, fluchte über das Durcheinander und sprach: „Wenn das so weitergeht, weiß ich wirklich nicht, wo das noch enden soll!“ Aber alle lachten ihn aus und gingen, der Abt voran, mit den Schweinen auf Trüffelsuche in den Wald …“ (soweit Eco)

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„… Wenn du aufhören wirst, mich zu kämmen, werde ich aufhören, dich zu hassen.“

Das Kind verlangt, daß man es auf der Türschwelle kämme.

„Reiß nicht so an meinem Haar. Es ist schon arg genug, daß man mich anrührt. Wenn du mich gekämmt hast, werde ich dich nicht mehr hassen.“

Unterdes nimmt die Weisheit des Tages die Gestalt eines schönen Baumes an,

und der Baum, sich wiegend,

der eine Prise Vögel verliert,

schuppt in den Lagunen des Himmels ein Grün ab, so schön – grüner ist nur noch die Wasserwanze.

„Reiß doch nicht so an meinem Haar“ …“

Aus „PREISLIEDER“ von Saint-John Perse; Luchterhand 1964, S. 51, aus dem Französischen übersetzt von Friedhelm Kemp.

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„…Ich wollte; sie nur berühren. Nicht schrecken!“, sich verteidigte die Tochter es gab aber sehr viel Tadel in den Augen der anderen und war froh, als kam das Mütterchen.

„Hast du das machen müssen.“

„Sieh, wie sie zusammengezuckt ist.“

„Was bist du so roh!“

„Es fürchtet sich; du kannst doch nicht angreifen, was sich ängstigt vor dir.“

„Es fürchtet die Menschen; steh still. Laß es bemerken, es geschieht so gar nichts; was schmerzt. Dann wird es aufblicken, um sich schauen, bin ich noch da? Und dann, kannst du etwas sagen; nicht so hingreifen gleich.“

„Jetzt fürchtet es; sich noch mehr. Bist du immer so dumm, nicht nur heute. Es wäre fast ein Trost.“

„Daß ich dir nicht; in die Wade beiße.“

„Lust hätte ich; dich so quälen!“

Und das Mütterchen schaute, wiegte den Kopf; einmal in Schräglage nach links dann wieder in Schräglage nach rechts.“

 

Aus Marianne Fritz >Dessen Sprache du nicht verstehst<, in zwölf Bänden, Suhrkamp Frankfurt am Main 1986.

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PFERD

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„… Ich liebte ein Pferd – wer war es? – es sah mich an, geraden Blicks, unter seinem Gelock.

Seine Nüstern atmende Höhlen waren zwei Dinge schön anzuschaun – mit jener atmenden Grube, die aufschwillt über jedem Auge.

Nach dem Lauf war es voll Schweiß: voll Glanz! – und ich preßte Monde in seine Flanken mit meinen Knabenknieen …

Ich liebte ein Pferd – wer war es? – und zuweilen (denn ein Tier weiß es besser, welche Kräfte uns rühmen)

hob es zu seinen Göttern ein ehernes Haupt: schnaubend, durchfurcht von verästelten Adern…“

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Aus „PREISLIEDER“ von Saint-John Perse; Luchterhand 1964, S. 33, übersetzt von Friedhelm Kemp.

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Thomas Manns Haus in Los Angeles

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LITERATUR

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„Machs, wer kann!“ sagte der ältere Malerfreund von Heinrich Lee im „Grünen Heinrich“ von Gottfried Keller, dessen bestes Wettbewerbsgemälde für die Große Münchner Kunstausstellung abgelehnt worden war, während eine schlechte Nachahmung seines Motivs, von einem Honigsauger gemalt, hineingewählt dort jetzt hängen konnte und für die Bildidee gelobt wurde – „Machs, wer kann!“.

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Es ist unerheblich, woher Umberto Eco seine vielen Worte bezogen hat – es ist ebenso nicht literarisch bedeutsam, ob Ehm Welk sich bei Dostojewskijs „Raskolnikow“ bediente, wo es um die Pferdeschinderei ging. Doch dem Belesenen ist Goethe einfach öde, wenn man seine Quellen bei Kant und dessen Anregungen, die bereits bei Konfuzius entfaltet wurden, wiedererkennt, nicht eigene syllogistische Denkergebnisse sein mögen, sondern als unterschlagene Undankbarkeiten beim Lesen stören. Goethe hatte in den Gesprächen mit Eckermann angeblich mitgeteilt, Schillers Empfehlungen der Kant-Lektüre an ihn kämen zu spät – das habe er, Goethe, Alles längst selbst gedacht.

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Wohlan Goethe, dem Christan Enzensberger gewisse Parvenü-Attitüden nachgewiesen hat, mag durchaus Kant und Konfuzius nicht gekannt  haben – Goethe, nicht gekannt?

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„…Aber es war ihm gesagt worden, dass er einen kleinen Bruder gehabt habe, und jedesmal, wenn er den Kirchhof besucht, bekreuzte er sich fromm und ehrfürchtig über dem kleinen Grabe, verneigte sich gegen dasselbe und küsste es. Und nun träumt ihm: Er geht mit dem Vater auf der Landstraße nach dem Kirchhofe, und sie kommen bei der Schenke vorbei; er hat den Vater an der Hand gefaßt und blickte angstvoll nach der Schenke hin. Ein besonderer Umstand fesselte seine Aufmerksamkeit: heute scheint hier ein Volksvergnügen stattzufinden; da drängt sich ein dichter Menschenhaufen, aus geputzten Bürger- und Bauernfrauen, ihren Männern und allerlei Gesindel bestehend. Alle sind betrunken, alle singen Lieder, und vor der Tür der Schenke steht ein Wagen, aber ein seltsamer Wagen. Es ist einer jener großen Wagen, vor die man große Lastpferde spannt, und auf denen man Waren und Branntweinfässer transportiert. Er hatte immer gern diese riesigen Lastpferde betrachtet, mit den langen Mähnen und den dicken Beinen, wie sie ruhig und gemessen einherschritten, und einen ganzen Berg hinter sich herzogen, ohne besondere Anstrengung, ja, als wäre es ihnen mit der beladenen Fuhre leichter zu gehen als ohne dieselbe. Aber jetzt ist wunderlicherweise an einen solchen großen Frachtwagen eine kleine, magere, falbe Bauenrkracke gespannt, von der Art, wie sie sich (er hatte das oft gesehen) vielfach mit einer hochgepackten Fuhre Holz oder Heu abquälen, namentlich, wenn der Wagen im Schmutze oder in tiefen Geleisen stecken bleibt; und dabei hauen dann die Bauern immer so roh, so roh mit der Peitsche auf sie los, manchmal gerade auf das Maul und in die Augen. Und es hatte ihm immer so leid, so leid getan, das mit anzusehen, dass er beinahe geweint hatte; die Mama hatte ihn dann immer vom Fenster weggeführt. Aber plötzlich erhebt sich ein großer Lärm: aus der Schenke kommen unter Schreien und Singen, mit Balalaiken in den Händen, stierartig betrunkene Bauern heraus, große Kerle in roten und blauen Hemden, die Röcke nur lose übergeworfen. „Setzt euch rauf, setzt euch alle rauf“, schreit einer, ein junger Kerl mit dickem Halse und fleischigem, roten Gesichte. „Ich fahre euch alle, setzt euch nur rauf!“

Gelächter antwortet auf diese Aufforderung, und es wird geschrien:

„So eine Kracke. Die wird uns auch gerade ziehen können!“

„Du bist wohl nicht gescheit, Mikolka? so eine kleine Stute vor so einen Wagen zu spannen!“

„Die kleine Falbe ist gewiß schon ihre zwanzig Jahre alt, Bruder!“

„Setzt euch nur rauf; ich fahre euch alle!“ schreit Mikolka wieder, springt als erster auf den Wagen, faßt die Zügel und stellt sich in seiner ganzen Größe auf das Vorderteil. „Der Braune ist schon lange mit Matwei davon“ schreit er vom Wagen herunter. „Aber diese Stute tut weiter nichts als mich ärgern, Brüder; ich möchte sie am liebsten totschlagen; sie frißt ihr Futter umsonst! Hört ihr wohl: setzt euch rauf! Ich will sie Galopp laufen sehen! Galopp soll sie laufen!“

Er nimmt die Peitsche in die Hand und bereitet sich mit einer wahren Wonne darauf vor, das Pferd zu schlagen.

„Na setzt euch doch drauf! Immer zu!“ Wird unter Lachen in der Menge gerufen. „Hört ihr wohl? sie soll Galopp laufen!“

„Die ist wohl schon seit zehn Jahren nicht mehr Galopp gelaufen.“

„Das wird ein schöner Galopp werden!“

„Nur keine Schonung, Brüder! Jeder muß eine Peitsche nehmen; macht euch fertig!“

„Jawohl, jawohl! die solls kriegen!“

Alle klettern unter Gelächter und Witzworten auf Mikolkas Wagen. Sechs Mann sind hinaufgestiegen, und es können noch mehr sitzen. Sie nehmen noch ein dickes Weib mit gesunder, roter Gesichtsfarbe mit hinauf. Sie trägt ein rotes baumwollenes Kleid, einen Kopfputz aus Glasperlen, an den Füßen plumpe Schuhe; sie knackt Nüsse und lacht. Ringsum in der Menge wird gleichsam gelacht; und wirklich, warum sollten sie auch nicht lachen? So eine jämmerliche Mähre, und soll eine solche Last im Galopp ziehen! Zwei Burschen auf dem Wagen nehmen sofort jeder eine Peitsche, um Mikolka zu helfen, „Hüh!“ ruft dieser, und die Mähre zieht aus Leibeskräften, kann aber nicht einmal im Schritt damit zurechtkommen, geschweige denn im Galopp; sie trippelt nur mit den Beinen herum, ächzt und knickt ein unter den Hieben der drei Peitschen, die hageldicht auf sie niedersausen. Das Gelächter auf dem Wagen und in der Menge verdoppelt sich; aber Mikolka wird ärgerlich und peitscht in seiner Wut immer wieder auf die Stute los, als ob er wirklich dächte, sie würde noch galoppieren.

„Laßt mich auch mitmachen, Brüder!“ schreit ein Bursche aus der Menge, der gleichfalls Lust bekommen hat.

„Steig nur rauf! Steigt nur alle rauf!“ ruft Mikolka. „Sie muß alle ziehen. Ich peitsche sie zu Tode!“

Und er peitscht und peitscht und blickt sich um, womit er sie wohl sonst noch in seiner Raserei schlagen könnte.

„Papa, Papa!“ ruft das Kind seinem Vater zu. „Papa, was tun sie da? Papa, sie schlagen das arme Pferd!“

„Komm weg! komm weg!“ antwortet der Vater. „Es sind Betrunkene; sie treiben Tollheiten, die Narren. Komm weg! sieh nicht hin.“ Und er will ihn wegführen; aber das Kind reißt sich von seiner Hand los und läuft, seiner selbst nicht mächtig, zu dem Pferde. Aber mit dem armen Tiere steht es schon schlecht. Es verliert den Atem, bleibt stehen, zieht wieder an und fällt beinahe hin.

„Peitscht sie tot!“ schreit Mikolka. Jetzt gehts los; ich peitsche sie zu Tode!“

„Bist du denn kein Christenmensch, du Satan?“ ruft ein alter Mann aus dem Haufen.

Unerhört, daß so eine Kracke so eine Fuhre ziehen soll!“ fügt ein anderer hinzu.

„Du wirst sie noch zu Tode quälen!“ ruft ein Dritter.

„Das geht dich nichts an! sie ist mein Eigentum. Ich kann mit ihr tun, was ich will. Steigt noch rauf! Steigt alle noch rauf! Sie muß und muß noch Galopp laufen!“

Plötzlich bricht ein allgemeines Gelächter los und übertönt alles: Die Stute hat die unaufhörlichen Hiebe nicht mehr aushalten können und in ihrer Not angefangen auszuschlagen. Selbst der alte Mann kann sich des Lächelns nicht erwehren; wahrhaftig komisch: so ein jämmerliches Tier und schlägt noch aus!

Zwei Burschen aus der Menge holen sich jeder eine Peitsche und laufen zu der Stute hin, um sie von den Seiten zu hauen. Jeder haut von seiner Seite.

„Aufs Maul! Haut sie in die Augen! in die Augen!“ schreit Mikolka.

„Wollen ein Lied singen, Brüder!“ ruft einer auf dem Wagen, und alle die drauf sind, fallen mit ein. Ein Gassenhauer ertönt; ein Tambourin rasselt; der Refrain wird gepfiffen. Das Weib knackt Nüsse und lacht.

Der Knabe läuft bei dem Pferde entlang, er läuft nach vorn; er sieht wie es in die Augen geschlagen wird, gerade in die Augen! Er weint; das Herz will ihm brechen; die Tränen laufen ihm über die Wangen. Ein Peitschenhieb streift ihm das Gesicht, er fühlt es nicht; er ringt die Hände, er schreit, er stürzt zu dem grauköpfigen, graubärtigen Manne hin, der mit dem Kopfe schüttelt und dieses ganze Treiben mißbilligt. Ein Weib faßt ihn an der Hand und will ihn fortführen; aber er reißt sich los und läuft wieder zu dem Pferde hin. Das Tier ist schon beinahe mit seiner Kraft zu Ende; aber es beginnt noch einmal auszuschlagen.

„Hol dich der Satan!“ schreit Mikolka wütend. Er wirft die Peitsche hin, bückt sich und zieht vom Boden des Wagens eine lange, dicke Deichselstange hervor, faßt sie mit beiden Händen am einen Ende und holt mit starker Anstrengung über der Falben aus.

„Er macht sie kaputt!“ schreien die Umstehenden.

„Er schlägt sie tot!“

„Sie ist mein Eigentum!“ schreit Mikolka und läßt mit aller Wucht die Deichselstange niederschmettern. Man hört einen schweren, dumpfen Schlag.

„Haut sie doch mit der Peitsche, haut sie! Was steht ihr!“ rufen Stimmen aus dem Haufen.

Mikolka aber holte zum zweiten Male aus, und ein zweiter Schlag fällt mit aller Wucht auf den Rücken der unglücklichen Mähre. Sie knickt mit dem ganzen Hinterteil nieder, springt aber auf und zieht und zieht mit dem Aufgebot der letzten Kräfte nach dieser und jener Seite hin, um den Wagen in Bewegung zu bringen; aber von allen Seiten schlagen sechs Peitschen auf sie ein, und die Deichselstange erhebt sich von neuem und schlägt zum dritten und vierten Male, taktmäßig, wuchtig nieder. Mikolka ist ganz rasend, daß er die Stute nicht mit einem Schlage tot bekommt

„Die ist zählebig!“ rufen die Umstehenden.

„Jetzt wird sie bestimmt gleich fallen, Brüder; dann ists mit ihr aus!“ ruft aus dem Haufen ein interessierter Zuschauer.

„Du solltest ein Beil nehmen und ihr flink den Garaus machen!“ ruft ein Dritter.

„Ach was, hol dich der Kuckuck. Macht mal Platz da!“ schreit Mikolka grimmig, wirft die Deichselstange von sich, bückt sich noch einmal zum Wagen herunter und zieht eine eiserne Brechstange hervor. „Vorgesehen!“ ruft er und holt mit aller Kraft nach seinem armen Pferdchen aus. Der Schlag schmettert nieder; die Stute schwankt, sinkt zusammen, macht einen Versuch anzuziehen; aber die Brechstange trifft sie von neuem mit voller Wucht in den Rücken, und das Tier fällt auf die Erde, als wären ihm alle vier Beine mit einem Male abgehauen.

„Nun gebt ihr den Rest!“ schreit Mikolka und springt wie ein Besessener vom Wagen herunter. Einige Burschen, ebenfalls betrunken und mit geröteten Gesichtern, ergreifen, was ihnen vor die Hände kommt, Peitschen, Stöcke, die Deichselstange, und laufen zu der verendenden Stute hin. Mikolka stellt sich auf der einen Seite neben das Tier und fängt an, es mit der Brechstange auf den Rücken zu schlagen, wohin er gerade trifft. Die Mähre streckt das Maul vor, holt noch einmal schwer Atem und stirbt.

„Na, nun hast du ihr das Lebenslicht ausgeblasen!“ ruft einer in dem Haufen.

„Warum wollte sie auch nicht Galopp laufen!“

„Sie ist mein Eigentum!“ schreit Mikolka, die Brechstange in den Händen, mit blutunterlaufenen Augen. Er steht da, als bedauere er, daß niemand mehr da ist, den er schlagen könnte.

„Aber du bist wirklich ein rechter Unchrist!“ rufen jetzt viele Stimmen aus der Menge.

Der arme Knabe ist ganz fassungslos. Laut aufschreiend drängt er sich durch den Schwarm hindurch zu der Falben hin, umfaßt ihren toten, blutigen Kopf und küßt ihn, er küßt sie auf die Augen, auf die Lefzen. Dann springt er plötzlich auf und stürzt in heller Wut, die kleinen Fäuste ballend, auf Mikolka los. In diesem Augenblicke bekommt der Vater, der schon lange hinter ihm her ist, ihn endlich zu fassen und trägt ihn aus dem Gedränge hinaus.

„Komm weg, komm weg!“ sagt er zu ihm. Wir wollen nach Hause gehen!“

„Papa“! Warum haben sie … das arme Pferd … totgeschlagen?“ schluchzt er; aber er bekommt keine Luft, und die Worte ringen sich, wie einzelne Schreie aus der gepressten Brust

„Sie sind betrunken, … sie treiben Unfug, … es geht uns nichts an, … komm weg!“ sagte der Vater. Der Knabe schlingt beide Arme um den Vater; aber die Brust ist ihm so beengt, so furchtbar beengt. Er möchte Luft holen, aufschreien und, – er erwacht….“

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aus >Raskolnikow – Schuld und Sühne, ein Roman in sechs Teilen< von Fjodor Michailowitsch Dostojewskij, Erster Teil S. 86-93, verfaßt 1864 bis 1866, erschienen in Russisch 1867, hier, Übersetzer ins Deutsche nicht bekannt, erschienen im Insel Verlag Leipzig, 1945.

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„… Des Schicksals Wege sind wunderbar, denn der Mensch, dessen es sich dazu bediente, war der böseste in Kummerow, der Müller Düker. Keiner konnte ihn leiden, kein Kind und kein Erwachsener, sicher auch kein Tier, denn wenn seine Pferde immer wie geleckt aussahen, so war das bloß Eigenliebe und keine Tierliebe und kam auch nur von dem Hafer, den sich der Müller durch seinen Droak zusammenstehlen ließ.

Jetzt hatte er sich auf dem letzten Pferdemarkt in Randemünde einen Fuchs eingetauscht und mächtig mit seiner Schlauheit geprahlt; ein Pferd hätte er erwischt, da könnten ihm selbst der Graf tausend Taler bieten, und er kriegte es nicht. Großartig, wie er den Pferdehändler angescheten hätte!

Ganz langsam fuhr der Müller durch das Dorf und griente jeden an, der ihm begegnete, und wenn einer stillstand, dann zeigte er mit der Peitsche auf den Fuchs und sagte: „Ein Wundertier! Ja, man muß eben was von Pferden verstehen. Euch kann man ja einen Ochsen für ein Pferd andrehen, wenn der keine Hörner hat, dann merkt ihr nichts.“ Am meisten ärgerte alle, daß der Fuchs so billig gewesen sein sollte, denn er war wirklich ein schönes Tier. Wenn der Müller nicht log mit dem Preis. Doch der alte Metscher war beim Kauf zugegen gewesen, es stimmte schon. „Dann wird der Fuchs es wohl inwendig haben,“ sagte der Schulze.

Er hatte es inwendig. Im Kopf hatte er es, wie man so sagt. Solange er neben dem Braunen an der Deichsel zu gehen hatte, war alles in Ordnung. Dafür aber hatte der Müller ihn nicht gekauft, er wollte ihn hauptsächlich für den Einspänner haben. Und dabei zeigte der Fuchs, daß er es eben im Kopfe hatte. Sie kamen alle zusammen, als sie es hörten.

Großspurig war der Müller an einem Sonntagnachmittag das erstemal mit seinem neuen Fuchs im Einspänner durch das Dorf gefahren, und damit sich auch alle recht ärgerten, hatte er vor dem Gasthof gehalten. Da fing der Fuchs an. Er stellte die Vorderbeine breit auseinander, so daß er von vorne aussah wie ein Sägebock, und dazu ließ er den Kopf schlapp herunterhängen und schwenkte ihn langsam und weit ausholend von links nach rechts und von rechts nach links. Zuerst hielten sie das für einen kleinen Spaß von dem Pferd, besonders da es sich auch wieder in eine für ein Pferd anständige Haltung zurückfand. Doch nach kurzen Pausen fing der Fuchs immer wieder an mit dem Theater. Sie standen und warteten direkt: Jetzt, paß auf, gleich macht er’s wieder! Und richtig.

Als das Gejohle vor dem Gasthof zu toll wurde, stürzte der Müller heraus.

Er hatte wohl gesehen, daß sich da immer mehr Menschen um seinen Fuchs angesammelt hatten. Die fuchsen sich, dachte er, weil sie kein so schönes Pferd haben. Wie er nun die Geschichten sah, die der Fuchs machte, lachte er zuerst mit und sagte: „Na, was ist denn schon? Das kluge Tier wundert sich über soviel Ochsen!“

„Jawohl“, krähte Wilhelm Trebbin, „und jetzt, wo du dazugekommen bist, wundert er sich erst recht.“

Ganz richtig hatte Wilhelm Trebbin das beobachtet: eigentlich noch mehr als bisher schwenkte das dumme Tier seinen Kopf. Da zog ihm der Müller einen über den Pelz und fuhr nach Hause.

Es war jedoch nicht zu verbergen, immer wenn er im Einspänner ging und nur ein paar Minuten stillstand, kriegte der Fuchs es wieder.

„Das werd ich ihm schon austreiben“, versprach der Müller, „man ist ja nicht so dämlich wie ihr!“

Womit er sie erst recht auf sich und seinen Fuchs hetzte, denn mit dem Austreiben, das wurde nichts. Worauf der Müller den Fuchs wieder als Zweispänner fuhr. Das verhinderte jedoch nicht, daß jeder, der ihn traf, sich erkundigte: „Was macht denn der Wunderliche?“ Und so hieß denn bald der Müller wie sein Pferd der Wunderliche.

Die Kummerower sind hartnäckig. Man sagt von solchen Leuten allgemein, sie haben Charakter. Und so stichelten und triezten sie den Müller am Sonntagnachmittag im Krug so lange mit seinem Wunderlich, daß er eine Wette einging, er würde dem Tier das schon austreiben. Bis zu zwanzig Mark hielten sie die Wette gegen ihn. „Vor euren sichtlichen Augen!“ prahlte der Müller. Er lief sogleich nach Hause und spannte den Wunderlich ein.

Und dann karriolte er mit dem Wagen immer um den Dorfplatz, und sobald er einmal herum war, hielt er vor dem Krug an. Wenn der Fuchs dann seine Beine breitstellte und mit dem Kopf zu schaukeln begann, drosch der Müller auf ihn los, sprang in den Wagen und jagte eine neue Runde um den Platz. Er würde ihn schon müde machen, daß ihm der Spaß verginge, Theater zu spielen. Ein paar Bauern aber hetzten den Müller immer weiter auf, indem sie sagten, der Fuchs käme wahrscheinlich direkt aus dem Zirkus, und vielleicht parierte er besser, wenn der Müller sich als Musche Klohn anzöge.

Der Fuchs war schon ganz blank vor Schweiß, und der Atem ging ihm laut, aber sobald er zum Stehen kam, setzte er die Vorderbeine schräg und schaukelte mit dem Kopf.

Runde auf Runde jagte der Müller das Pferd. Er merkte schon längst, daß er nun wirklich der dumme August für das Dorf geworden war, und außerdem waren die zwanzig Mark weg. Jetzt tat einigen das Pferd leid, weil aber andere dem Müller die verlorene Wette vorhielten, sprang er noch einmal vom Wagen, stellte sich vor dem Pferdekopf auf, aus dem zwei ängstliche Augen auf den unmenschlichen Herrn blickten. Die Vorderbeine zitterten, die Flanken flogen, das Maul stand voll Schaum, aber unbegreifliches Tun, das Tier brachte die Beine wieder auseinander und schwenkte den Kopf. „Aas, verfluchtes, dir werd ich lehren!“ brüllte der Müller und hatte auch Schaum im Gesicht, nahm die Peitsche verkehrt und schlug dem Pferd das dicke Ende des Stiels gegen das Maul, immer gegen die Seite, die gerade wegschwenken wollte. Tatsächlich hörte der Fuchs auf, den Kopf zu bewegen. Triumphierend sah der Müller um sich.

Wilhelm Trebbin faßte ihn am Arm. „Wenn du ihn nochmal gegen die Schnauze schlägst, bekommst du selber ein paar.“

„Von dir noch lange nicht!“ prahlte der Müller.

Da rief einer von denen, die gewettet hatten: „Es gilt aber auch für die Beine!“

„Die krieg ich auch noch zurecht“, versprach der Müller und schlug mit dem dicken Ende der Peitsche dem Pferd gegen die Vorderbeine, bis das Tier sie richtig hielt. Aber dabei vergaß es wohl seinen Kopf, denn nun pendelte der wieder hin und her.

„Warte, du Luder!“ brüllte der Müller. „Ich krieg dich schon müde!“ Er sprang wieder auf den Wagen und karbatschte auf das ermattete Tier los, gleich zweimal um den Platz. Als er diesmal hielt, war der Schaum vor dem Pferdemaul rot von Blut. Jetzt traten einige der Bauern auf den Müller zu und wollten ihm die Peitsche wegnehmen. Doch er drohte tätlich zu werden. „Ist das mein Pferd oder eures?“ brüllte er los. Das war richtig, es war sein Pferd, und er konnte damit machen, was er wollte. Einige meinten zwar, das könnte er nicht, und es sei eine Schande für Kummerow, daß hierorts einer vor ihren Augen ein Tier zu Tode prügeln dürfe.

„Damit ihr auch noch meine zwanzig Mark kriegt, ihr Spitzbuben!“ tobte der Müller.

„Wir schieten dir was auf deine zwanzig Mark!“ brüllte nun auch Wilhelm Trebbin. „Laß sie dir vom Droak bringen!“

Das war zwar Unsinn, aber es erfüllte seinen Zweck, es machte den Müller noch wilder.

„Wenn es mir paßt“, schrie er und hatte ganz rote Augen, „dann Schlage ich das Biest hier auf der Stelle tot! Den möcht ich sehen, der mir in mein Eigentum ‚reinreden will.“

Das war wieder richtig, und der Appell an das freie Recht über das Eigentum, dieses Glaubensbekenntnis des Kleinbürgers und Bauern, machte zuerst auch Eindruck. Außerdem würde er es ja nicht tun. Aber dann siegte doch das Gefühl für das Tier. Ja, wenn es ein Stück Rindvieh oder ein Schwein gewesen wäre, aber ein Pferd …

„Wir verzichten hiermit auf deine Dreckwette“, lärmte Trebbin, „er kriegt seine zwanzig Mark wieder, wir unsere auch!“

Der Müller lachte böse. „Das könnte dir so passen, was? Jetzt, wo du siehst, daß er pariert! ich habe gewettet, daß das Biest nicht mehr sein Theater macht. Und wenn er das nicht mehr macht, dann sind eure zwanzig Mark futsch. Und ich sage dir, nu gerade nicht, und er wird es nicht mehr machen!“ Noch einmal sprang er auf den Wagen und jagte das Pferd um den Platz. Jetzt aber schwankte das Tier nicht mehr mit dem Kopf allein, sondern mit dem ganzen Körper.

Es waren immer mehr Leute zusammengelaufen. Da kamen auch die Kühe von der Weide heim und mit ihnen Krischan Klammbüdel und Martin. Sie ließen die Kühe allein weitergehen und sahen sich an, was hier vorging. Der Müller hatte dem Fuchs gerade einen mächtigen Schlag mit dem Peitschenstiel übers Kreuz gegeben, als Krischan vor ihm auftauchte und nach dem Peitschenstiel faßte.

Dazu sagte er: „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehes!“

„Scher dich zum Teufel, alter Zuchthäusler!“ brüllte der Müller und wollte auf Krischan los. Doch es sprangen einige dazwischen.

„Wo ich herkomm, da kannst du noch alle Tage hinkommen“, spektakelte Krischan, „bloß daß sie dich dann nicht wieder rauslassen.“ Aber in seiner Stimme zitterte es.

Da er nun an den Hirten nicht herankonnte, der Fuchs den Kopf noch verwunderlicher schwenkte als bisher und die Menschen laut aufjohlten, faßte der Müller den Peitschenstock mit beiden Händen, holte aus und schlug dem Fuchs das dicke Ende zwischen die Ohren. Er fiel sofort um, aber die Beine streckte er von sich, immer abwechselnd, als wolle er weglaufen, nur hier nicht sterben, und das eine Auge, das nicht im Sand lag, sah in qualvoller Verständnislosigkeit die Menschen an.

„Du Satan, du Aas!“ ächzte Krischan und stürzte sich auf den Müller, seinen Hirtenstock in der zitternden Faust,

Doch der Müller war rascher, er faßte Krischan bei der Brust und haute ihm eine runter, daß der alte, klapprige Hirte auf das sterbende Pferd fiel und betäubt liegen blieb. „So ein Schwein, so ein Sträfling“, keuchte der Müller, „eine Schande für ein Dorf – nicht mal Papiere hat der Kerl – das will anständige Leute beleidigen!“

Sie waren von dem Vorgang, der sich da in Schnelle abgespielt hatte, noch ganz benommen. Martin Grambauer aber fühlte sich von einer Hand angerührt und vorwärts gestoßen. Er heulte laut auf, einmal um das Pferd, dann um Krischan, dann aber sprang er wie eine Katze dem Müller ins Gesicht, krallte sich fest und riß nun wie ein Wilder in dem Kinnbart des Bösewichts. zur Ehre von Johannes und Hermann Wendland muß es geschrieben werden, sie waren im selben Augenblick auch an dem Müller, ohne Verabredung, Hermann, indem er dem Kerl die Stiefelspitze ins Gesicht stieß, Johannes, indem er den dicken Hirtenstock von Krischan aufhob und losdrosch. Nur, der bärenstarke und vor Schnaps und Wut halb wahnsinnige Mann hätte die drei Kinder erschlagen, wären jetzt nicht endlich die Großen wach geworden. Der Weg von den Augen bis in den Kopf und ins Herz und dann in die Arme ist lang für einen Kummerower. Der Müller hatte Martin gepackt, hochgehoben und wollte ihn zu Boden schmettern, da sprang Wilhelm Trebbin zu und entriß ihm den Jungen. Gleich folgten die anderen, und nun droschen Bauernfäuste auf einen Schinder los, und die, die einen Stock hatten, nahmen unbekümmert den Knüppel.

Der Müller warf ein paar Mann wie Kleiebeutel beiseite. Dann hatte er Wilhelm Trebbin vor sich, und das war kein Kleiebeutel, das war ein Zweizentnersack voll Weizen. Es traf den Müller ein so wuchtiger Faustschlag ins Gesicht, daß er beiseite flog, gegen das Pferd stolperte und über es hinwegstürzte. Blutend und besinnungslos blieb er liegen. denn wo Wilhelm Trebbin hinschlug, da rührte sich so leicht keiner.

Einige wollten gesehen haben, der Fuchs habe noch einmal seine Augen aufgemacht und erst den Müller, dann Krischan angesehen, und der Blick auf Krischan sei ein ganz anderer gewesen. Wie ein Mensch.

Krischan Klammbüdel konnte nach einer Viertelstunde allein nach Hause gehen, den Müller holte seine heulende Frau auf der Karre.

Das Pferd und der Wagen blieben auf dem Dorfplatz liegen bis zum Montagvormittag, weil Wachtmeister Niemeier den Tatbestand aufnehmen mußte. …“

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Aus Ehm Welk >Die Heiden von Kummerow< von 1937, S. 249-255, bei Bertelsmann Gütersloh 1959.

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Dietmar Moews am 1. Juli 2018 in Düsseldorf

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Dietmar Moews meint: Liebe Benutzer der neuen LICHTGESCHWINDIGKEIT, wem auffällt, dass ich ziemlich schroffe Urteile über berühmte und große Literaten mitteile, mag sich ganz einfach ein eigenes Urteil bilden:

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Durchlesen, vergleichen. Vielleicht mehrmals lesen. Dann fragen, ob meine MENSCH, PFERD, LITERATUR-Auffaltung hier für Leserin oder Leser persönlich Etwas bedeutet – Was bedeutet? Und ob dabei eine gewisse Nähe zu meiner Qualitätsbewertung von Literaten – um das handelt es sich nämlich, wenn man die Totalität seines Lebens betrachtet – und dann darauf Sprache, Literatur oder Buchstabennudeln bezieht, trägt und eine Bereicherung erlebt. Alle haben ganz eigene Anwandlungen aber auch Verwandtschaften dazu.

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P. S.

„…Das Pferd war für sie das Tier der Tiere, sie verstanden aus einfältigem Herzen die Völker, die es für heilig hielten. Darum auch hatte sich Superintendent Sanftleben nicht gewundert, als er mal bei einer Schulvisitation auf die Frage, welches das klügste Tier sei, die Antwort erhielt: „Das Pferd!“ Na schön, hatte er weiter gefragt, denn er hatte den Hund gemeint: „Welches ist aber das mutigste und stärkste Tier?“ – „Das Pferd!“ Na schön, er hatte eigentlich an den Löwen gedacht. „Ich möchte jetzt aber mal nichts von den Haustieren wissen. Welches ist von allen Tieren der König?“ Eine Weile war Stille in der Schule gewesen, bis die Antwort kam: „Das Pferd.“ …“

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Aus Ehm Welk >Die Heiden von Kummerow< von 1937, S. 255, bei Bertelsmann Gütersloh 1959.

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P. P. S.

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„… Er zählte sie eifrig und konnte sie doch nicht auszählen, füllte aber alle Taschen damit; die er nicht hineinbrachte, als sie voll waren, warf er wieder in die Luft, da verwandelte sich der Goldregen in einen prächtigen Goldfuchs, welcher wiehernd an der Erde scharrte, aus welcher dann der schönste Hafer in Haufen hervorquoll, den der Goldfuchs mutwillig verschmähte. Jedes Haferkorn war ein süßer Mandelkern, eine getrocknete Weinbeere und ein neuer Batzen, die in rote Seide zusammengewickelt und mit einem goldenen Faden zugebunden waren; zugleich war ein Endchen Schweineborste eingebunden, welche einen angenehm kitzelte, und indem das schöne Pferd sich behaglich darin wälzte, rief es: der Hafer sticht mich! der Hafer sticht mich! Heinrich bestieg das Pferd, ritt beschaulich am Ufer hin und sah, wie der Bauer in die Rosen hineinpflügte und mit seinem ganzen Gespann darin versank …

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Zur rechten Zeit sah er den Goldfuchs neben sich stehen, legte ihm den Mantelsack auf und begann den jähen Staffelweg hinunterzureiten, der an die Brücke führte. Jede Staffel war aber ein geschliffener Bergkristall, in welchem gewissermaßen als Kern ein spannelanges pudelnacktes Weibchen eingeschlossen lag, von unbeschreiblichem Ebenmaß und Schönheit der kleinen Gliederchen. Während der Goldfuchs den halsbrechenden Weg hinuntertrabte und jeden Augenblick mit seinem Reiter in den Abgrund zu stürzen drohte, bog sich Heinrich links und rechts vom Sattel und suchte mit sehnsuchtsvollen Blicken in den Kern der durchsichtigen Kristallstufen zu dringen. „Tausend noch einmal!“ rief er lüstern aus, „was mögen das nur für allerliebste närrische Wesen sein in dieser verwünschten Treppe!“

„Ei was wirds sein?“ erwiderte das Pferd, indem es springend den Kopf zurückwandte, „das sind nur die guten Dinge und Ideen, welche der Boden der Heimat in sich schließt und welche derjenige herausklopft, der im Lande bleibt und sich redlich nährt!“

„Teufel!“ rief Heinrich, „ich werde gleich morgen hier herausgehen und mir einige Staffeln aufklopfen!“ und er konnte seine Blicke nicht verwenden von der langen Treppe, die sich schon glänzend hinter ihm den Berg hinaufwand. Er war jetzt unten bei der Brücke angekommen; das war aber nicht mehr die alte hölzerne Brücke,, sondern ein

marmorner Palast, welcher in zwei Stockwerken eine unabsehbare Säulenhalle bildete und so als eine nie gesehene Prachtbrücke über den Fluß führte. „Was sich doch alles verändert und vorwärts schreitet, wenn man nur einige Jahre weg ist!“ sagte Heinrich, als er gemächlich in die weite Brückenhalle hineinritt. Während das Gebäude von außen nur in weißem, rotem und grünem Marmor glänzte, allerdings in den herrlichen Verhältnissen und Gliederungen, waren die Wände inwendig mit zahllosen Malereien bedeckt, welche die ganze fortlaufende Geschichte und alle Tätigkeiten des Landes darstellten. Hirten und Jäger, Bauern und Pfaffen, Staatsmänner, Künstler, Handwerker, Schiffer, Gemsjäger, Mönche, Jünglinge und Greise, alle waren in ihrem Wesen kenntlich und verschieden und doch sich alle gleich und traten in den dargestellten Handlungen ungezwungen zusammen in den bestimmtesten und klarsten Farben. Die Malerei war einfach, hatte durchaus den Charakter der alten soliden Freskomalerei, aber alle Abwesenheit von gebrochenen Farben und den Künsten des Helldunkels ließ die Bilder nur umso klarer und bestimmter erscheinen und gab ihnen einen unbefangenen und munteren Anstrich. Auch verstand sie alles Volk, das auf der Brücke hin und her wogte, und während sie so durch einen guten und männlichen Stil für den Gebildeten erfreulich blieben, wurden sie durch jene Künste nicht ungenießbar für den wenig Geschulten; denn die Bedeutung der alten Freskomalerei liegt in ihrer tüchtigen Verständlichkeit und Gemeingenießbarkeit, während die Vorzüge der neueren Malerei ein geübtes Auge erfordern und das Volk sich den Teufel um gebrochene Töne kümmert.

Das lebendige Volk, welches sich auf der Brücke bewegte, war aber ganz das gleiche wie das gemalte und mit demselben eines, wie es unter sich eines war, ja viele der gemalten Figuren traten aus den Bildern heraus und wirkten in dem lebendigen Treiben mit, während aus diesem manche unter die Gemalten gingen und an die Wand versetzt wurden. Diese glänzten dann in umso helleren Farben, als sie in jeder Faser aus dem Wesen des Ganzen hervorgegangen und ein bestimmter Zug im Ausdrucke desselben waren. Überhaupt sah man jeden entstehen und werden, und der ganze Verkehr war wie ein Blutumlauf in durchsichtigen Adern. In dem geschliffenen Granitboden der Halle waren verschiedene Löcher angebracht mit eingepaßten Granitdeckeln, und was sich Geheimnisvolles oder Fremdartiges in dem Handel und Wandel erblicken ließ, wurde durch diese Löcher mit einem großen Besen hinabgekehrt in den unten durchziehenden Fluß, der es schleunig weit wegführte. Der Ein- und Ausgang der Brücke aber war offen und unbewacht, und indem der Zug über dieselbe beständig im Gange war, der Austausch zwischen dem gemalten und wirklichen Leben unausgesetzt stattfand und alles sich unmerklich jeden Augenblick erneuerte und doch das Alte blieb, schien auf dieser wunderbar belebten Brücke Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur ein Ding zu sein.

„Nun möcht ich wohl wissen“, sagte Heinrich vor sich hin, während er aufmerksam alles aufs genaueste betrachtete, „was dies für eine muntere und lustige Sache hier ist!“

Das Pferd erwiderte auf der Stelle: „Dies nennt man die Identität der Nation!“

„Himmel!“ rief sein Reiter, „du bist ein sehr gelehrtes Pferd! Der Hafer muß dich wirklich stechen! Wo hast du diese gelehrte Anschauung erworben?“

„Erinnere dich, sagte der Goldfuchs, „auf wem du reitest! Bin ich nicht aus Gold entstanden? Gold aber ist Reichtum und Reichtum ist Einsicht.“

Bei diesen Worten merkte Heinrich plötzlich, daß sein Mantelsack statt mit Wäsche jetzt gänzlich mit jenen goldenen Münzen angefüllt und ausgerundet war, welche er mit den alten Kleidern in das Wasser geworfen hatte. Ohne zu grübeln, woher sie so unvermutet wieder kämen, fühlte er sich höchst zufrieden in ihrem Besitze, und obschon er dem weisen Gaule nicht mit gutem gewissen Recht geben konnte, daß Reichtum Einsicht sei, so war er doch schon insoweit von seiner Behauptung angesteckt und fand sich doch plötzlich so leidlich einsichtsvoll, daß er wenigstens nichts erwiderte und gemütlich weiter ritt auf der schönen Brücke.

„Nun sage mir, du weiser Salomo!“ begann er nach einer Weile wieder, „heißt eigentlich die Brücke oder die Leute, so darauf sind: die Identität? oder welche von beiden nennst du so?“

„Beide zusammen sind die Identität!“ sagte das Pferd.

„Der Nation?“ fragte Heinrich.

„Der Nation, zum Teufel noch einmal, versteht sich!“ sprach der Goldfuchs.

„Gut! aber welches ist denn die Nation, die Brücke oder die Leute, so darüber rennen?“ sagte Heinrich.

„Ei seit wann“, rief das Pferd, „ist denn eine Brücke eine Nation? Nur Leute können eine Nation sein, folglich sind diese Leute hier die Nation!“

„So! und doch sagtest du soeben, die Nation und die Brücke zusammen machten eine Identität aus!“ – erwiderte Heinrich.

„Das sagt ich auch und bleibe dabei!“ versetzte das Pferd.

„Nun, also?“ fuhr Heinrich fort.

„Wisse“, antwortete der Gaul bedächtig, indem er sich auf allen Vieren ausspreizte und tiefsinnig in den Boden hineinsah, „wisse, wer diese heiklige Frage zu beantworten, den Widerspruch zu lösen versteht, ohne den scheinbaren Gegensatz aufzuheben, der ist ein Meister hierzulande und arbeitet an der Identität selber mit. Wenn ich die richtige Antwort, die mir wohl so im Maule herumläuft, rund und nett zu formulieren verstände, so wäre ich nicht ein Pferd, sondern längst hier an die Wand gemalt. Übrigens erinnere dich, daß ich nur ein von dir geträumtes Pferd bin und also unser Gespräch eine subjektive Ausgeburt und Grübelei deines eigenen Gehirnes ist, die du Aberwitziger mit über den Rhein gebracht hast. Mithin magst du fernere Fragen dir nur selbst beantworten aus der allerersten Hand!“

„Ha! du widerspenstige Bestie!“ schrie Heinrich in anthropologischem Zorne und spornte das Pferd heftig, „umso mehr, undankbarer Klepper, bist du mir zu Red und Antwort verpflichtet, da ich dich aus meinem so sauer ergänzten Blute erzeugen und diesen Traum lang speisen und unterhalten muß!“

„Hat auch was Rechtes auf sich!“ erwiderte das Pferd ganz gelassen.

„Dieses ganze Gespräch, überhaupt unsere ganze werte Bekanntschaft ist das Werk und die Dauer von kaum zwei Sekunden und kostet doch wohl kaum einen Hauch von deinem geehrten Körperlichen.“

„Wie, zwei Sekunden?“ rief Heinrich und hielt das schöne Goldtier an, „ist es nicht wenigstens eine Stunde, daß wir auf dieser endlosen Brücke reiten uns umsehen in dem Getümmel?“

„Gerade eine Sekunde ists, sagte der Gaul, „daß ein berittener Nachtwächter um die Straßenecke bog, und ein einziger Hufschlag hat in dir meine Erscheinung erneuert, welche überhaupt veranlaßt wurde, als vor einer halben Stunde derselbe Nachtwächter des entgegengesetzten Weges kam. Auch ist dieses Minimum von Zeit ein und dasselbe Minimum von Raum, kurz die identische Kleinigkeit deines in das Kopfkissen gedrückten Schädels, in welchem sich eine so weite Gegend und tausend belebte und verschiedene Dinge gleichzeitig ausbreiten und zwar alles auf Rechnung des einen Hufschlages, welcher nichtsdestominder nur als ein gemeiner Hammerschlag zu betrachten ist, der nur dazu dient, den Kasten deines eigenen Wesens aufzutun, worin alles schon hübsch zusammengepätschelt liegt, was -„

„Um Himmels willen!“ rief Heinrich, „vergeude nicht länger die kostbare Dauer des Hufschlages mit deinen Auseinandersetzungen, sonst ist der nur allzu kurze Augenblick vorbei, ehe ich über diese schöne Brücke im reinen bin!“

„Eilt gar nicht! Alles, was wir für jetzo zu erleben und zu erfahren haben, geht vollkommen in das Maß des wackeren Pferdetritts hinein, und wenn der sehr richtig denkende Psalmist den Herrn seinen Gott anschrie: Tausend Jahre sind von dir wie ein Augenblick! so ist dies gut begründete Hypothese von hinten gelesen eine und dieselbe Wahrheit: Ein Augenblick ist wie tausend Jahre! Wir könnten noch tausendmal mehr sehen und hören während dieses Hufschlages, wenn wir nur das Zeug dazu in uns hätten, lieber Mann! Doch alles Pressieren oder Zögern hilft da nichts, alles hat seine bequemliche Erfüllung und wir können uns ganz gemächlich Zeit lassen mit unserem Traum, er ist was er ist und dauert einen Schlag und nicht mehr noch minder!“ sagte das Pferd.

„Gut, so beantworte mir ohne Anstand noch diese Frage!“ erwiderte Heinrich, „ich muß mir aber die Frage erst noch ein wenig zurechtlegen und deutlich abfassen; denn ich weiß nicht recht, wie ich mich ausdrücken soll. Bereite dich indessen, da wir, wie du sagst, ausreichende Traumeszeit haben, recht gründlich auf die Beantwortung vor!“

„Wie kann ich mich zur Antwort vorbereiten, eh ich nur die Frage kenne?“ sagte das Pferd verwundert.

„Was?“ rief Heinrich erbost, „das weißt du nicht? Deinen guten Willen und dein bißchen Ehrlichkeit sollst du zusammennehmen und den Vorsatz fassen, ohne alle Heuchelei und Ausschmückung zu antworten, und selbst wenn du gar nichts zu antworten weißt, so sollst du dies mit gutem ehrlichen Willen bekennen, und dies wird alsdann die gesundeste Antwort sein. Kurz, du sollst, während du philosophierst, wirklich ein Philosoph sein und nicht etwa ein Buchbinder oder ein Kattundrucker!“

„Es ist doch wunderbar mit den Menschen!“ bemerkte der Goldfuchs melancholisch. „Bist denn du etwa jetzt ein Philosoph, während du dir erst ein Pferd träumst, um dir von demselben Fragen beantworten zu lassen, welche du dir einfacher und unmittelbar aus dir selbst beantworten kannst? Muß denn dein träumender Verstand wirklich erst ein Pferd formen, es auf vier Beinen dahinstellen und sich rittlings daraufsetzen, um aus dem Munde dieses Geschöpfes das Orakel zu vernehmen?“

Heinrich lächelte vergnügt und selbstzufrieden wie einer, der es wohl weiß, daß er sich selbst einen Spaß vormacht, und versetzte: „Antworte! Ich sehe hier eine Brücke; dieselbe ist aber vollkommen gebaut und eingerichtet wie ein Palast oder großer Tempel, so daß es in dieser Hinsicht wieder mehr als eine Brücke zu sein scheint, während eine solche vielmehr nur der Weg etwa zu einem guten Tempel oder derartigen Bauwerke zu sein pflegt. Auch beginnt am Ausgange dieser herrlichen Palastbrücke oder dieses Brückenpalastes eine herrliche alte Stadt, deren himmelhohe Lindenwipfel und goldene Turmknöpfe wir wohl unter diese Bogenwölbungen können einherfunkeln sehen, wenn wir uns bücken, so wie wir ja auch aus der schönsten Landschaft herkommen und soeben über die treffliche ideenhaltige Kristalltreppe heruntergestolpert sind. Trotzdem scheint alles auf dieser Brücke so zu leben und zu weben, als ob nichts als diese Brücke da wäre, und ich bin nun begierig zu hören, ob dies stattliche Brückenleben eigentlich ein Übergang, wie es einer Brücke geziemt, oder ein Ziel, wie es ihr auch wieder geziemen könnte, da sie so hübsch ist, ein Zweck oder ein Mittel sei? Ein Ausgang oder ein Eingang, ein Anfang oder ein Ende? ein A oder ein O? Dies nimmt mich wunder!“

Das weise Pferd erwiderte: „Alles dies ist zumal der Fall und das ist eben das Herrliche und Bedeutungsvolle an der Sache! Ohne die schönen Ufer wäre die Brücke nichts ohne die Brücke wären die Ufer nichts. Alles, was auf der Brücke geht, ist und bedeutet nur etwas, insofern es aus dem Gelände hüben und drüben kommt und wieder dahin geht und dort etwas Rechtes ist, und dort kann man es wiederum nur sein, wenn man als etwas Rechtes über die Brücke gegangen ist. Wenn man auf der Brücke ist, so denkt man an nichts anderes und stürzt sich in den Verkehr, indessen man doch unversehens hinüber gelangt und wieder in seiner besonderen Behausung ist. Dort duselt und hantiert man in Küche und Keller, auf dem Estrich, rund in der Stube herum, als ob man nie auf der Brücke gewesen wäre, bis man plötzlich einmal den Kopf aus dem Fenster steckt und sieht, ob sie noch stehe. So ist sie ein prächtiges Monument und doch nur eine Brücke, nicht mehr als der geringste Brettersteg; eine bloße Geh- und Fahrbrücke und doch wieder eine statiöse Volkshalle:“

Plötzlich bemerkte Heinrich, daß er von allen Seiten mit biederer Achtung begrüßt wurde, welche sich besonders dadurch kundgab, daß manche mit einem vertraulichen Griffe und wichtiger Miene seinen strotzenden Mantelsack betasteten, wie etwa die Bauern auf den Viehmärkten die Weichen einer Kuh betasteten und kneifen und dann wieder weitergehen.

„Der Tausend“, sagt Heinrich, „das sind ja absonderliche Manieren! ich glaube, es kenne mich hier kein Mensch.“

„Es gilt auch“, sagte das Pferd, „nicht so wohl dir als deinem schweren Quersack, deiner dicken Goldwurst, die auf meinem Kreuz liegt.“

„So?“ sagte Heinrich, „also ist das Geheimnis und die Lösung dieser ganzen Identitätsherrlichkeit doch nur das Gold, und zwar das gemünzte? Denn sonst würden sie dich ja auch betasten, da du aus dem nämliche Stoffe bist!“

„Hm“, sagte das Pferd, „das kann man eigentlich nicht behaupten! Die Leute auf dieser Brücke haben vorerst ihr Augenblick darauf gerichtet, ihre Identität allerdings zu behaupten und gegen jeglichen Angriff zu verteidigen. Nun wissen sie aber sehr wohl, daß ein kampffähiger guter Soldat wohlgenährt sein muß und ein gutes Frühstück im Magen haben muß, wenn er sich schlagen soll. Da dies aber am bequemsten durch allerlei Gemünztes zu erreichen und zu sichern ist, so betrachten sie jeden, der mit dergleichen wohlversehen, als einen gerüsteten Verteidiger und Unterstützer der Identität und sehen ihn drum an. Sei dem wie ihm wolle, ich rate dir, dein Kapital hier noch ein wenig in Umlauf zu setzen und zu vermehren. Wenn die Meinung der Leute in allgemeinen auch eine irrige ist, so steht es doch jedem frei, sie für sich zu einer Wahrheit und so seine öffentliche Stellung angenehm zu machen.“

Heinrich griff in seinen Sack und warf einige Hände voll Goldmünzen in die Höhe …“

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Aus Gottfried Keller „Der Grüne Heinrich“, S. 650 f, 1855 und 1958 im Carl Hanser Verlag München

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