LICHTGESCHWINDIGKEIT 472
DIREKTE DEMOKRATIE & PIRATEN und Kommentar aus Sicht
der IT-Soziologie zur Medienlage von dem Künstlergelehrten
Dr. Dietmar Moews – live und ungeschnitten – muss auch immer
die Werte der Primaten berücksichtigen: Offenheit, Transparenz,
Freiheit, Piraterie und Rechtsstaatlichkeit, im Globus mit
Vorgarten in Berlin, am Samstag, 17. Juli 2010, mit BILD
Berlin/Brandenburg, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der
Tagesspiegel, CCC.de, bild.de, Piratenpartei Deutschland.de,
RP.de, heise.de sowie Phoenix, ARD, ZDF, DLF,
Piratenthema hier: Direkte Demokratie und Volksabstimmungen
nehmen zu, was bedeutet das sozio-politisch? Was müssen die
Piraten aus Sicht der IT-Soziologie dazu bedenken?
DER TAGESSPIEGEL vom 17. Juli 2010, Seite 1: Direkte Demokratie,
Kommentar von Gerd Nowakowski. Abkopplung und
Unzufriedenheit schüren die allgemeiner und breiter aufkommenden
Forderung nach Volksabstimmungen in Deutschland. Das aktuelle
Beispiel von monatelanger Diskussion und Streit um schulgeldfreie
Gesamtschulen oder das konservative dreigliedrige Schulsystem
der Volksschulen, Realschulen und Gymnasien hat inzwischen
die Dimensionen eines Grundstreits angenommen. Während
wohlhabende Hamburger ihre Schulkinder in kostspielige
exklusive Bezahl-Gymnasien schicken, verlangen die Minderbemittelten,
dass alle Kinder in gemeinsamem Unterricht staatliche Bildungsrechte
erhalten. Der Grundsatzstreit geht also um den Widerstreit, dass
die Ausdifferenzierung nach Begabungen allen Schülern nützt,
während wenn Hochbegabte und Schwache zusammen unterrichtet
werden, es die Starken unterfordert und langweilt,
die Schwachen aber noch mehr zurückwürfe. So geht es inzwischen
bereits mehr um arm gegen reich, als um das passende
Schulsystem zur Förderung aller.
Der Tagesspiegel-Autor führt sogleich weitere Beispiel aus der
jüngsten Zeit an: Den Berliner Tempelhof-Streit — Volksabstimmung
im Jahre 2009: Schließung oder verkleinerter Betrieb des Flugplatzes.
Sowie der Kampf um Pro-Reli, Volksabstimmung im Jahre 2009:
Abschaffung christlich-konfessionellen Religionsunterricht an
allgemeinen Schulen, stattdessen eine Art Gemeinschaftskunde.
Dietmarmoews meint: In Hamburg tritt Ole von Beust als
Bürgermeister zurück, weil er das Amt zur kommenden Wahl
nicht erneut anstreben will, also einem Nachfolger den Übergang
zu ermöglichen. Beust ist aber auch zwischen die Fronten des
vielfältigen Streits um die Schulen geraten.
Nach der Hamburger Verfassung können die Bürger durch
Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid an der
Gesetzgebung mitwirken. Diese auch so zu verstehende
Möglichkeit heißt Volksgesetzgebung. Sie heißt ganz
absichtlich nicht Regierungsgesetzgebung. Und in dieser
Qualität haben sich Ole von Beust und der Hamburger
Senat vergriffen. Sie haben unerlaubt mit allen staatlichen
Einflussmitteln verfassungswidrig den Volksabstimmungs-
Prozess beeinflusst. Allein noch im Mai 2010 wurde
publiziert dass die Stadt Hamburg zusätzlich 200.000
Euro an Haushaltsmittel für die Senatsreform der
Hamburger Schulen, nämlich für sechs Primärschuljahre
mit anschließend Stadtteilschule oder Gymnasium.
Während die Volksinitiative befürchten den Nachteil
für die Gymnasiasten und eine Nivellierung „zugunsten“
der schwächer begabten Schüler, denen mit einer früheren
Volksschule besser gedient sei.
Nun kommt nicht vom Volk ad hoc die intelligenteste
Lösung. Doch schreibt die Verfassung vor: Die Staatsgewalt
geht vom Volke aus. Und so schreibt die FAZ/Christine
Landfried am 17. Juli 2010, S. 10: Da kann es nicht sein,
dass die Bürger ausgerechnet bei der Volksgesetzgebung
mit einer regierung konfrontiert werden, die ihren Mach-
vorsprung ausnutzt. Es muss beim … Volksentscheid eine
realistische Chance für die Mitwirkung der Bürger sein.“
Die heutige Führungspraxis innerhalb der Liquid-Email-
Vorstandsarbeit der Piratenpartei zeigt eben diese Schwäche.
Es wird unter dem Etikett direkte Demokratie von oben
zurechtgedreht, welche mehrheitsfähigen Abstimmungs-
gegenstände zum Programm werden, wofür völlig unter
Mißachtung der Argumente und Vorschläge der Basis
quantitative E-Votings im Schnellverfahren durchgezogen
werden. Dabei erhalten Zustimmung und Ablehnung oft
nicht die Themen oder Argumente, sondern bei sinn- und wort-
gleichen Antragstexten erhalten die Antragsstellerpersonen
von ihren Netzwerken die Zustimmun bzw. ohne solche
die Ablehnung. Es ist die vollkommene Sinn- und Geistvernichtung,
für die es nur eine soziale Wirkung geben kann. Die Sache
ist tot. Kein vernünftiger Pirat macht das auf die Dauer mit,
mitzuposten und zu argumentieren, wenn dieses dann gar nichts
bewirkt.
Beim Berliner Religionsstreit sieht es noch anders aus. In Berlin
heißt es Christen-West gegen Atheisten-DDR-Ost. Die Berliner
Mehrheit will einen säkularen Gemeinschaftskundeunterricht
für alle haben, statt christlich-kirchlichen Religionsunterricht
in den staatlichen Schulstundenplänen. Hier wäre aber ein
Drittes zu bedenken: Die Religiösität aller Menschen, nicht zu
verwechseln mit Irrationalität oder Esoterik, ist ein menschlicher
Archetypus und muss erlernt werden. Atheismus kann das nicht
leisten. Tempelhof betreffend kann man eine einfache
Zielsystemorientierung vornehmen und letztlich alle Argument,
Zielsetzungen und Motivlagen über die quantitaive Grundstimmung
beschließen — da gibt es nur ja oder nein für verschiedene
Abstimmungsvarianten: Teilschließung, Teilbetrieb, Vollbetrieb,
Vollschließung — hier ist Volksabstimmung legitim.
Bei Fragen wie AfPak-Krieg, Staatsschulden oder Desinformation
des Volkes wären zunächst die Gesetzesnormen einzuklagen,
bevor Volksabstimmung die Formen des Volksaufstandes annehmen.
Und damit bin ich bei den Bedenken zur direkten Demokrarie
per Volksabstimmungen. Wenn das Volk die Regierung niederstimmt,
weil unerfüllbare Wünsche und Problemlösungen nicht geliefert
werden, dann kann es sehr leicht zu Mobentwicklungen mit Gewalt
geführt werden. Wer kann die Mehrheit dazu bewegen, gegen sich
selbst Abstimmungen, zum Beispiel des Kompromisses, des
Verzichts u. ä. zu gewinnen. Statt der politischen Schulung der
Erwachsenen wünscht die Piratenführung Runtersetzung des
Wahlalters. Das ist unverantwortlich und verheerend und eine
unmögliche Überforderung der Kinder und ein Unglück für alle.
Volksabstimmungen und direkte Demokratie über Unzufriedenheit
vergeben den demokratischen Modus der „rationalen Konfliktkultur“
im politischen Kampf um die besten Argumenten und Lösungswege
und rufen geradezu nach Demagogie und Mob. Produktion, Idee,
Autor, Direktion, Dr. Dietmar Moews;
Aufnahmetechnik und Admin, Piratencrew Berlin;
Musik: Paperback Writer, The Beatles 1966