Lichtgeschwindigkeit 4245
am 25. März 2014
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Der gestern vorgestellten Zusammenfassung meiner Bewertung zu den stetigen Moralgeschehnissen zum Fall Hoeneß,
Der Kriminalfall des Prominenten Uli Hoeneß kann nach den bis hierher getroffenen Feststellungen und Erwägungen nicht als Sittenverfall oder Verpitbullung eingeschätzt werden.
sind noch mehrere mitspielende Kraftrichtungen hinzubemerkt.
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Es ist Jedem unbenommen, Moral als Thema der Philosophiegeschichte zu studieren – das unterscheidet sich zur Moral in der Philosophiegeschichte. Es erweitert die Urteilsvermögen, wenn der studierte Mensch über den „Künstler als moralische Gegenfigur zum Kriminellen“ nicht nur nachdenkt, sondern selbst als Krimineller oder als Künstler gelebt hat.
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Jedenfalls sind noch zwei Sachverhalte aufzuspießen, die nicht von Hoeneß oder aus den jeweiligen Quellen entspringen.
1. Es sind wir Menschen selbst. Wir nehmen in unserer ganz situativen Aufmerksamkeit und unseren Erwiderungen und Mitwirkungen an der geistig-sozialen und moralischen Kommunikation geradezu als Produzenten in dem ständig fortlaufenden Moralitätsprozess teil. Dabei üben wir entsprechende Erklärungsnormen, samt den davon stets allzumenschlich abweichenden Verhaltensnormen ein.
2. Es sind die äußeren materiellen Veränderungen unserer Lebensgeschichte der ganz praktischen Art – ältere und alte Menschen anders als jüngere und ganz junge: Während wir seit den 1980er Jahren in die IT-Revolution übergingen, entstand eine Abkopplung der Sozialitäten in der analogen sinnlichen Welt eines Jeden. Nachdem durch die in den 1950er Jahren heraufkommende moderne Automobiltät unsere sozialen Verkehrsformen intensivieren konnten, gewissermaßen eine sinnliche Verdichtung entwickelt wurde, werden inzwischen durch Internetz und Rechnerkapazitäten heute Fernfuchtelei, Entkopplung und Zeitknappheit bestimmend. Natürlich stiegen im Zuge einer jeden technischen Veränderung der Welt, wie bei der Automobilsierung, die quantitativen Befunde der Regelverstöße an. Genauso gab es keine virtuellen Kriminalitätsmöglichkeiten am Internetz, bevor es nicht zur alltäglichen Massenbenutzung dieser Technologie gekommen war.
Wir sehen also sehr leicht, dass die historische Entwicklung der Lebensgeschichten äußerlichen Veränderungen und sehr spezifischem Veränderungsdruck ausgesetzt sind, ohne dass daraus auf Verlust oder Veränderungsrichtung der Moral zu schließen ist.
Ferner ist hier mit Blick auf die situative Zeitform des äußeren materiellen Lebens, jenseits von Gut und Böse, festzuhalten, wie aufgeregt, wie ereignislos, wie langweilig oder Saure-Gurken-mäßig, wie herausragend oder im gesamten Themen-, Stoff- und Geräuscheandrang so ein Fall Hoeneß den sozialen Szenerien nahekommt. Steht an den Grenzen ein feindliches Militär die IT-Kommunikation unterbricht und Fetzen fliegen bereits, findet gerade eine einzigartige Naturkatastrophe statt, hat die englische Königin Elizabeth II. überraschend ein Kind gekriegt und wurde dabei von der NSA abgehört, fällt die Kanzlerin beim Skiwandern um und die Fernheizung aus, dann wird der Steuerhinterzieher nicht den Raum erhalten, wie wenn er alle Aufmerksamkeit nur ihm zukommt.
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Dennoch müssen die Menschen solche Veränderungen ja auch durch Verhaltensänderungen in Form von Anpassungen zeitigen. Das Weltgewissen ist dadurch noch nicht besser oder schlechter. Und wie der Einzelne hier sein moralisches Surfspiel spielt, beweist zunächst auch nur, dass es sich überhaupt – und vermutlich zu allen Zeiten – um ein Spiel in Verhaltens- und Vorstellungsspielräumen handelt.
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Wie wir diesen Wandel im Einzelnen fassen können und dann bewerten, macht die Soziologe wertvoll. Denn wenn der Mensch keine Erklärungen und Urteilsbedingungen erkennt, dann kommt er leicht zu unverträglichen Hilfserklärungen, Stereotypien, Vorurteilen und Sündenbockmustern und jagt dann Gespenster.
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Wir Alle bringen den Geschehnissen, den Neuigkeiten, den Verrücktheiten oder Katastrophen stets sehr individuelle Vorstellungsgebäude entgegen. Es sind ganz individuelle Eigenschaften aus einzigartigen subjektiven Lebensgeschichten – wer noch nie einen grausamen Tod miterlebt hat, wer noch nie einen Todesschreck und unverdientes glückliches Überleben erlebt hat, wer schon mal extreme Gemeinheit oder andere Schicksalsschläge erfahren hat, geht mit dem alltäglichen Erleben insgesamt möglicherweise neurotisch, überempfindlich oder abgestumpft gleichgültig oder nüchtern und geduldig usw. je nach Eigenart und Bildung, um. Jeder Mensch erlebt den Fall Hoeneß anders.
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Die Kommunikation, aus der moralische Wertewandel im Alltagsleben der Alltagsmenschen entspringen müssten, kommt zu kurz. Es reicht aus Ermangelung an verfügbarer Zeit weder zu wissenschaftlicher systematischer Seminararbeit und auch an Mangel an Betroffenheit und Hingabe nicht dazu hin, Vorstellungshierarchien zur Moral überhaupt zur gefälligen Betrachtung zu bringen, die dann Verhaltensänderung bewirken könnte.
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Neben dem Zeitmangel gebricht es außerdem am Sprach- und Verstehvermögen der kommunizierenden Teilnehmer an der der öffentlichen Aufregung. Verbal reicht es gerade dazu, sich durch eine persönliche Anmerkung in die Geräuschkulisse des Hoeneß-Publikums einzustimmen und lediglich sich selbst dadurch zu entlasten, dass man sich in ein kollektives Geräusch einschwingt.
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Ferner sind ganz individuelle Eigenschaften der Anteilnehmenden wesentlich, dass es schwierig ist, Einhelligkeit in der Betroffenheit und in ausdrücklichen Bewertungsaussprüchen zu entfalten. Immerhin bekakelt man mal alle überlegt oder unüberlegt angeknüpften Vorstellungen zum Thema Moral und gute Sitte, Sittenverfall oder Moralentwicklung unentgeltlich an.
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Manch einer fragt seinen Hund, der gerade an Leberwurstbrot denkt während man seinen Kopf streichelt, im einfachen Sinn von Erinnern und Vergessen:
„Na? Dieser Hoeneß – is a Hund“ oder „Früher war die Jugend anständiger“. Und der Hund scheint uns zu verstehen: Leberwurstbrot.
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Mit anderen Worten – wenn ein sehr junger Mensch etwas Entsetzliches erlebt, kann es ihn sehr verfärben, seine Urteile, seine Ideenwelt und seine Bereitschaft zur unvoreingenommenen Mitmenschlichkeit ein halbes Leben lang begleiten und verstimmen. Das gleiche Geschehnis muss ein erfahrener Mensch völlig anders annehmen – ein altgewordener Hausarzt, ein Beerdigungsredner, ein Bäcker/Metzger/Wirt (BMW), eine alte Jungfer, ein Mensch, der noch nie einen männlichen Orgasmus erlebt hat, ein Mensch, der noch nie einen weiblichen Orgasmus erlebt hat, ein alterndes Schauspielsternchen, eine Gebärende mit dem neuen Mensch, das Geburtserlebnis mit einem gesunden oder einem bläulichen toten Neugeborenen und die Urgroßmutter von insgesamt fünfunddreißig Abkömmlingen, wovon 10 Stück bereits als Kindern umgekommen waren, wer nie als Infanterist, abgeschnitten vom Nachschub, in der Deckung lag und in seinem Vademecum las, wer nie im Winter zu Fuß flüchtend seine Heimat verlor und so viele Möglichkeiten – sie alle haben nicht mehr den Kinderblick des Henry Jung-Stilling – der mit dem Recht des frischen Menschen sagte: „Ich bin ja ein Mensch!“
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Alle diese Menschen sind gewollt oder ungewollt Kundschaft des öffentlichen Aufregungsfalls Hoeneß. Ihre Voraussetzung daraus gesellschaftlichen Moralgewinn oder Motivationsverluste einzustreichen ist durch die erhebliche Diversität der Beteiligten so verschieden, dass eben nur ganz unterschiedliche Folgen herauskommen können, nicht oder nur ganz schlapp, sozio-kulturelle Verhaltensänderungen.
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Möglicherweise hätte die junge Frau Hoeneß den Verrückten verdammt und verlassen, während die alte Frau nun ihre schrumpeligen Hände anschaut und denkt: Ach, wir stehen vergleichsweise gut, was kümmert uns der öffentliche Rummel, ich mach‘ mir jetzt ein paar Würschtl heiß (die gibt es bei Howe bereits vorgebraten), wieso sollte ich in den See gehen, ich bin doch nicht König Ludwig.
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Womit gesagt sein soll: Nicht die Kampfmoralität oder grenzwertige Sittlichkeit und persönliche Verpitbullung von Uli Hoeneß und seine kriminellen jahrelangen Sozialschmarotzereien bestimmen, ob in der Gesellschaft Witz und Gemeinschaftsgefühle stimuliert werden oder ob die Lemminge Massenselbstmord aus Verzweiflung in eine Flashmob-Party verwandeln.
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Die tägliche Erfassung der Medienlage im Verlauf des Steuerstrafprozesses Uli Hoeneß ergibt ja nicht einfach eine gültige Feststellung derart: „Verpitbullung der Gesellschaft“, “die neue Zeit macht die Menschen schlechter“, „Früher war es besser/anders“.
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Auch ist nicht zu beobachten, dass bei einer erheblich großen Zahl von Prominenten und Idolen, wie im Jahr 2014, das Publikum nach besseren Vorbildern oder vorbildlicheren Prominenten riefe. Ebensowenig hat es den Anschein, dass sich Prominente selbst unter einem hohen subjektiven Druck stehen sehen, sich anständig und vorbildlich aufzuführen bzw. ihre Schweinereien besser zu verbergen.
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Der Kriminalfall des Prominenten Uli Hoeneß kann nach den bis hierher getroffenen Feststellungen und Erwägungen in der weiteren Öffentlichkeit und im Sozialverhalten der Beteiligten nicht als Sittenverfall oder Verpitbullung eingeschätzt werden.
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Wir sind eventuell davon berührt, wenn Jemand durch Sonderlichkeit aus seiner bekannten Rolle fällt. Doch auch wenn gerne und leichthin von „Werteverfall“ geredet wird: „Früher war es besser“ – lassen sich solche Auswirkungen nicht nur nicht nachweisen. Sondern bei näherer Betrachtung können selbst allgemeinere Mutmaßungen nicht bestätigt werden.
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Aus Sicht einer empirisch-sozialwissenschaftlichen Analyse beurteilt, ist der Fall Hoeneß kein Beispiel qualitativer Verschlechterung der gelebten Menschlichkeit im Großen. Und in der Besonderheit dieses und ähnlicher allgemeiner Erregungsfälle wie Uli Hoeneß, repräsentiert das Beispiel lediglich einen Farbwechsel im Fremdbild von dieser Ausnahmepersonalie, aus einer hellleuchtenden Ausnahmeerscheinung wird ein alltägliches Bric a Brac.
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Selbst der jetzt vorbestrafte Kriminelle Uli Hoeneß lässt mit seiner etwas aufsässigen Selbstdarstellung während des Prozesses nicht auf einen Wandel seiner Einstellungen gegenüber der Allgemeinheit eindeutig erkennen. Angesichts seiner starken Persönlichkeit ist anzunehmen, dass derlei abweichendes, im Falle der Zockerei zugleich gesetzwidriges Verhalten, auch schon früher oder auch jederzeit zukünftig in der gleichen oder anderen Spielart geschehen kann. Hoeneß macht jetzt keinen geläuterten Eindruck – es ist aus seiner Sicht nur dumm gelaufen: Ich habe einen Fehler gemacht deutet an: Beim nächsten Mal und anderer Gelegenheit erwischt ihr mich nicht.
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Unter uns leben genügend millionenschwere Steuerhinterzieher und Kriminelle, die in Uli Hoeneß einen einschlägigen „Sportskollegen“ sehen. Es gibt Spielsüchtige, die bei der Wettspielsucht Haus und Hof verloren und in dem Prominenten Hoeneß einen Glückspielsüchtigen sehen, dem einfach Präventionsmassnahmen und Hilfe gefehlt haben: Uli Hoeneß als Vorreiter in der Gesundheits- und Drogenpolitik. Es gibt inzwischen Forschungsresultate über elektronische Lotterien und Online-Geldspiele mit weltweiter Reichweite. Einer, der ununterbrochen daddelte, wie Hoeneß, sieht sich nicht unbedingt als Echtzeit-Fernfuchteler im Wettlauf mit elektronischen Rechnern, sondern hat sich in gewohnheitsmäßiges Knöpfe drücken verfangen (wir erinnern uns an Loriots „original Familienbenutzer). Wer hätte keine schlechten Angewohnheiten, die ihm schwer fallen sein zu lassen oder zu bessern?
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Hoeneß ist auch als Einzelfall bzw. als Sonderfall kein ungewöhnlicher. Herausragt das intensive allseitige Publikumsinteresse und entsprechend, in Symmetrie dazu, das riesige massenmediale Angebot, die öffentlichen Kommunikationsangebote und die große Zahl im Chor der berufenen Einsprecher.
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Hoeneß etwas schiefes Selbstverständnis, sich der Öffentlichkeit zu keiner Vorbildrolle als Tugendbold verpflichtet sein zu wollen, ist in geringgebildeten vulgärmaterialistischen Sozialszenerien eher normal. Verantwortung als Peer wird nicht angenommen. Eher nehmen sich solche Prominente in der Alltäglichkeit der machtorientierten Hackordnungen individuelle Selbsterleichterungen heraus und verfolgen eigentlich schamlos beliebig ihr individuelles Vorteilsstreben.
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Wer es kennt, wird an Goethes „Reinecke Fuchs“ erinnert, ohne dabei allzu sehr biologistische Vergleiche anzustellen. Schließlich fehlt die Bezugslage, was man als moralische Normalität zum Maßstab anlegen könnte, um überhaupt eine qualitative Entwicklungstendenz von Moral und Sitten im Allgemeinen feststellen zu können.
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Ein unabhängiges Gericht hätte es nicht schwer, wenn es einem Angeklagten einfiele, den Steuerkriminellen Uli Hoeneß als sein Vorbild oder Anregung anzugeben, um dadurch entschuldigt zu werden. Denn als Beispiel mit erheblichem Alleinstellungsprofil ist Hoeneß unnachahmbar. Das Gericht müsste einem solchen Verteidigungsargument nicht folgen.
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Eher ist auf eine sozialgeschichtliche Beobachtung aus dem neunzehnten Jahrhundert hinzuweisen. Die Entwicklung des deutschen Bürgertums, als verschiedene Bürgertümer, lässt das Bildungsbürgertum und die Wertschätzung von Bildung in der Gesellschaft schwinden.
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Sofern man neben Ausbildung und Einbildung eine Bildung ansprechen will, die eine Vorstellung von Bildung als sittliches und moralisches Urteils- und Selbststeuerungsvermögen und entsprechend gepflegte sozio-kulturelle Verhaltensformen im Auge hat, sind Abstammung und Zugehörigkeit keine verlässlichen Merkmale mehr für Bildung. Denn es geht nun mehr um aktionsrelevantes operatives Wissen und Können.
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Weder Angehörige des Adels, des Beamtentums, der Kirchen, der Wissenschaft, der Künstlerschaft, des Militärs, des Handels, der Konzerne und Banken oder des Mittelstandes der Juristen, Ärzte, Architekten und sonstigen freien Berufe, noch das Wissen der Massen- und Volksausbildung, stellen Bildung als Herzensbildung und gemeinwesendienliches Verhalten sicher.
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Selbst Eliten mit Weltgeltung im Können oder Wissen sind nicht mithin gebildet. Gebildet ist nur, wer sich Bildung erwirbt.
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Dabei ist noch zu erwägen, wie lächerlich Tugend ohne Macht ist, wenn man Gleichheit und Gleichberechtigung fordert und das bekannte „Quod licet Jovi, non licet Bovi“ nicht gelten lassen möchte, während nach wie vor Sinnsprüche wie „Kapital verpflichtet“ oder „Adel verpflichtet“ untergründig herumgeistern, während vom Wissen und Können Macht ausstrahlt: Wer Etwas Gefragtes kann oder Etwas Rares weiß, ist mächtig.
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Soziale Rangzuweisungen im informellen privaten Spiel unterscheiden sich allerdings erheblich von Beziehungen in den Bereichen des konkret und allgemein geregelten Verhaltens nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch.
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In allen normativ regulierten Lebenssphären der Dienstklassen, dem Verwaltungshandeln, der geregelten Mitgliedschaften und Rollen-Selbstverpflichtungen herrscht organisierte Kontrolle und Steuerung. Da nämlich werden zurechenbare Fehler oder Regelverstöße geregelt sanktioniert. Das reicht bishin zum Ausschluss bzw. zum Verlust und Entzug von Exklusivnutzen für das Mitglied, die solche Verbände bieten.
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Sein DFB-Fußballverein FC Bayern München hat, nachdem nun Hoeneß der obligatorische rechtsstaatliche Steuerstrafrechtsprozess durchgeführt worden und rechtskräftig ist, seine Mitgliedschaft im Verein formal nicht berührt. Sogar seine Rolle als Repräsentant, als Präsident des Vereins, wurde ihm belassen. Auch seine Rolle als leitender Manager der Aktiengesellschaft, als Vorstandsvorsitzender, wurde ihm nicht entzogen.
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Nun, angesichts seines baldigen Einrückens in das Gefängnis von Landsberg, ist Hoeneß von sich aus von seinen Vereinsämtern zurückgetreten, hat sein Mandat als Manager niedergelegt und ist nurmehr einfaches Vereinsmitglied.
Sein ebenfalls vorbestrafter Kollege Karl-Heinz Rummenigge und andere Vereinsprominente und Funktionsträger haben ihre unverbrüchliche Solidarität zu Hoeneß beschworen.
Hoeneß‘ geschäftliche Teilhabe an der von ihm gegründeten, seinen Namen tragenden Nürnberger Wurstfabrik „Howe“ bleibt bestehen. Zumal „Schwarzgeschäfte von Metzgern“ im Metier nicht ungewöhnlich sind.
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Ferner lassen sich mit dem Fall Hoeneß Entwicklungen nachweisen, die allerdings hauptsächlich in einer fortlaufenden Drehbewegung einer leerdrehenden Spirale der kampagnenartigen Bedeutungserhöhung in und durch die Massenmedien besteht. Die nur begrenzte Reizinnovation bringt. Diese quantitative Ausreizung gegenüber Moralität und Kampfmoral ist eigentlich beinahe austauschbar. Sie qualitativ als alltäglich und so gesehen als neutral zu erkennen.
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Die Welt wird durch den skandalösen Steuerkriminellen Uli Hoeneß inmitten seiner sozialen Szenerie von teils halbseidenem Personal, Steuerflüchtlingen, Vorbestraften und für billige öffentliche Effekte stehende Altprominente, weder mit dem Wahnsinn geimpft noch in die Verzweiflung getrieben.
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Hoeneß hatte im sozialen Feld von Unterhaltung, Sport, Freizeit, Geldspekulations-Schwarzgeschäft und Kommunikationswirtschaft die ihm zugewachsene Rolle des Spezial-Peers erworben. Sein Rang ist keine Selbstsignierung sondern eine gesellschaftliche Zuweisung bzw. im Fremdbild aus der jeweiligen Spezialsozialität dem Hoeneß verliehen worden, also die Steuerbetrüger, die Suchtzocker, die Prominenten, die Altsportler, die Metzgerfamilien usw. haben an Hoeneß Schieflage entscheidenden Anteil.
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Die sichtbar gewordene Straffälligkeit, die dabei angewendeten Mittel und die darin zum Ausdruck kommende Kampfmoral und Unmoral ist so gesehen, genauer betrachtet, geradezu als normal einzuschätzen.
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So wenig Bildung, Tugendhaftigkeit oder soziale Verantwortung aus bürgerlichem Reichtum, aus wissenschaftlicher Eminenz, aus herausragendem Spezialgenie oder aus Abstammung automatisch folgt, so sehr sind Regelbrecher und das Vorenthalten gewohnter Leistungen oder gelegentliche Leistungsausfälle auch unter Spezial-Peers alltäglich. Was die Ingroup akzeptiert und belohnt, ist für das weitere Publikum hinzunehmen, wenn unerwünschte Allzumenschlichkeit metaphysische Wohlbefindlichkeitskosten erzeugt. Natürlich darf gejammert und geflamed werden.
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Dass mit dem Fall Hoeneß die quantitativ zählbaren Fälle misslingender Kriminalität und Versagen gegenüber einer Prominentenpflicht für vorbildliches öffentliches Verhalten als eine feststellbare prozessurale Verschlechterung, ein tendenzieller Wandel im Sinne sozialer Verhärtung wäre, kann nicht festgestellt werden – es trifft nicht zu.
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Dietmar Moews erklärt:
Mehr als die rechtsstaatliche Bestrafung des Kriminellen Hoeneß sollte nicht erwartet werden. Eine Verpitbullung ist weder konkret noch als weitere atmosphärische Störung vom Fall Hoeneß ausgegangen. Kassandrarufe, Untergangssorgen und Angst vor Werteverlust erscheinen vor dem Hintergrund dieser Geschichte nicht so sehr angebracht wie die nüchterne Erörterung der Sitten und Gebräuche, der Wünsche und Wünschbarkeiten und der eigenen konkreten Seinsgebundenheit anstatt von metaphysischen Schwimmübungen.
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Weniger die Ausstrahlungen poetischer Virtuosstücke noch die Erlebnisse von Meisterwerken haben im Guten wie im Bösen so verläßliche Veränderungskräfte für einen Menschen, wie die Selbststeuerungswirkung einer Schnulze oder der Geruch auf dem Abort.
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Weder das alttestamentarische Babel noch der Tanz des auserwählten Volkes um das goldene Kalb muss uns im Fall Hoeneß alarmieren. Im Gegenteil – ein Fachjurist zur „Steuerehrlichkeit“ teilte der TV-Öffentlichkeit kürzlich in einer Unterhaltungsdiskussion mit: „BMW! – Bäcker, Metzger, Wirte! Alle haben Schwarzgeld und machen Schwarzgeschäfte. ALLE!“ Der Steuerkriminelle Uli Hoeneß ist Metzgerssohn, stammt aus einer Metzgerfamilie in Ulm und gründete und führte selbst die HOWE-Wurstfabrik in Nürnberg. Wer wollte überrascht sein? Nimmt man Hoeneß persönliche öffentliche Stellungnahmen zum Steuernzahlen, die er über viele Jahre durchgängig geäußert hatte.
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Der Fall hat einige kommunikative Besonderheiten, die lediglich als Varianten oder als Stilverschiebung gelten können. Aber weder seitens des Straftäters Hoeneß selbst, noch seitens der ästhetischen Resonanz, noch seitens konkreter Auswirkungen auf moralische Stimmung oder Lebenszufriedenheit, sind „Moralverluste“ bewirkt worden.
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Wer den Fall aufmerksam beobachtet hat, z. B. Uli Hoeneß selbst, könnte daraus gelernt haben, in der heutigen sozialen Situation, weltweit, in Deutschland, in Bayern, in München, in anderen Städten oder in provinzielleren Lebenszusammenhängen, seine Geldspekulationen und Steuervermeidungsabsichten geschickter auszulegen und ohne diesen skandalösen Absturz zu erleiden. Alle Metzger, die nicht erwischt werden, machen das erfolgreicher als der Howe-Würstchenmacher Uli Hoeneß aus Ulm, vom Tegernsee, in Landsberg.
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Es läuft die Zeit, wir laufen mit.
Fortsetzung folgt