Lichtgeschwindigkeit 10460
Am Dienstag, den 27. September 2022
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Zum Geleit
Grüß Gott, liebe Negerienen und liebe Neger, Sie dürfen für sich jegliche Farbspiele ausleben,
sofern Sie nicht die Farben ihrer Mitmenschen verderben – bekanntlich solche Mischungen die
Farbe BRAUN ergeben. Der Maler PETER JANSSEN erklärte den Kindern, „Man kann den
Baum Blau malen, wenn man daran glaubt“. Ich sage: dass immer eine faire Praxis unsere
Praktiken leiten sollte. Symbolentschlüsselung JA – theoretische Entschlüsselung des Überde-
terminierten LIEBER NICHT. Denn Metaphysik belastet unnötig beim Malen und Farben-
mischen. HEGEL stellte den STAAT knallhart über die GESELLSCHAFT – komisch, dass
Marx, der die gesellschaftliche Unterwerfung anklagte, dann eine Volkssouveränität zugun-
sten des Parteikommunismus verriet, womit LENIN im Oktober 1918 (nicht ohne blutige
Umstände) zur bolschewistischen Staatsherrschaft in Moskau kam.
Neue Sinnlichkeit dient der Kunstfreiheit des Künstlergelehrten und Malers Dietmar
Moews. Seine professionelle empirische Soziologie macht Klärungen zur Urteilskraft und der
Überdetermination möglich. Wir können Motivation einer Bildung zur Freundlichkeit dringend
gebrauchen. Damit ist das SCHÖNE der KÖNIGSWEG der sozialen Emanzipationsgrenzen.
Begründer Pelagius hielt es grundsätzlich für möglich, ohne Sünde zu sein (posse sine
peccato esse). Menschen könnten von der Natur her, jedenfalls, ohne von Erbsünde verdor-
ben zu sein, gut sein. Egal, was geglaubt wird, von Gott geschaffen oder einfach überdetermi-
niert sein, man nicht unterstellend übergreifen soll, als sei ein Teil der Schöpfung böse. Op-
portun bringt SPRINGER GOEBEL SECHS weiterhin den absurden Hegelianer im Landtags-
Wahlkampf 2022 in Hannover, MP STEPHAN WEIL, der sich übers RECHT stellt.
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Inhalt
Umschlag: Peter Grämer-Plakat 1978 in der Ballhof-Galerie Hannover-Plakat PICASSO als Dreiteil-Bild mit PIGASSO 1
Zum Geleit 2
INHALT 3
IMPRESSUM 3
ERFOLGSKINDER 4
DIETMAR MOEWS: Das Schöne 9
DIETMAR MOEWS: Leibniz anstatt Humboldts Hohenzollern-Mief 39
LAYOS DAYATOS: SPRINGER GOEBEL SECHS: Die Lage, Faksimile Alt-Nazi Stadtdirektor Dr. Gustav
Degenhardt und OFFENER BRIEF an SPD-Ministerpräsident Stefan Weil >Goebel Springer 2020
Rechtsstaat und Lauterkeit< 46
DIETMAR MOEWS: Putin in Ukraine + USA in Sibirien, UN-Blauhelme und Särge 50
DIETMAR MOEWS: CORONA und das Eliten-Versagen 51
LAYOS DAYATOS: STAATS-DOCUMENTA FIFTEEN – Kassel 2022
verschusselt 54
ADOLPH FREIHERR KNIGGE: ÜBER EIGENNUTZ UND UNDANK 1796
Knigge setzt Kants kategorischen Imperativ in
allgemeinverständliche Klarheit: Fortsetzung XXVII 56 ABONNEMENT NEUE SINNLICHKEIT AUF LEBENSZEIT FÜR 500 EURO 57 DIETMAR MOEWS: Lexikon des Kunstwesens: ALBRECHT DÜRER 58
KATHERINE: Portrait: Die Linie von Albrecht Dürer A D 1521 59
DIETMAR MOEWS: Lexikon des Kunstwesens: LOUIS ARMSTRONG 60
LOUIS ARMSTRONG: Portrait: Die Linie von Dietmar Moews 61
DIETMAR MOEWS: Die Kinderseiten der Epoche: Bummsti 62
Auflösung Qualitätsrätsel 80: Walther Schmieding 1928-1980
QUALITÄTSRÄTSEL 81: Wer hats geschrieben? 64
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Impressum
Neue Sinnlichkeit Blätter für Kunst und Kultur seit 1979 erscheinen in loser Folge im Pandora-Kunst-Verlag, Springe, Hannover, München, Leipzig, Magdeburg, Dresden, Berlin, Köln
E-Mail dietmarmoews@gmx.de Verlagsanschrift und Abonnement auf Lebenszeit bei:
Dr. Dietmar Moews Mainzer Straße 28, D-50678 Köln ISSN 1432-5268
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Dietmar Moews 2022
DAS SCHÖNE
RHAPSODIE DES SCHÖNEN (IM MODERNEN IRREN)
Hendrikje Gröpler gewidmet
Der Russe Fjodor Michailowitsch Dostojewski begab sich jedes Jahr nach Dresden, um Raphaels wunderschöne Sixtinische Madonna zu betrachten. Vor diesem großartigen Werk verweilte er lange Zeit. Dies ist erstaunlich, denn seine Romane spielen in den düstersten und perversesten Bereichen der menschlichen Seele. Was ihn aber tatsächlich antrieb, war die Suche nach Schönheit (das Schöne täuscht auch – es ist nicht unfehlbar). Seinem Roman „Der Idiot“ verdanken wir den berühmten Satz: „Schönheit wird die Welt retten.“.. Auch Papst Franz meinte kürzlich der „Weitergabe des christlichen Glaubens durch die via pulchritudinis (den Weg der Schönheit) besondere Wichtigkeit verleihen zu können. Es reicht nicht, dass die Botschaft gut und gerecht ist. Sie muss schön sein„.
Steinworte hüpfen in Deutungen
Der Europäer Friedrich Nietzsche (1844-1900) schätzte den Autor Dostojewski besonders. Doch es passt mir hier die Nummer 299 aus Nietzsches „Die fröhliche Wissenschaft“, womit wir in den Schönheits-Text hineinkommen mögen:
„Was man den Künstlern ablernen soll. – Welche Mittel haben wir, uns die Dinge schön, anziehend, begehrenswert zu machen, wenn sie es nicht sind? – und ich meine, sie sind es an sich niemals! Hier haben wir von den Ärzten Etwas zu lernen, wenn sie zum Beispiel das Bittere verdünnen oder Wein und Zucker in die Mischung tun; aber noch mehr von den Künstlern, welche eigentlich fortwährend darauf aus sind, solche Erfindungen und Kunststücke zu machen. Sich von den Dingen entfernen, bis man Vieles von ihnen nicht mehr sieht und Vieles hinzusehen muss, um sie noch zu sehen -…“.
Ich war Ende Juli in meinem endenden Lebensbogen des schönen Corona-Virus-Jahres 2021 in der Kunsthalle Mannheim, in einer Kunstausstellung mit Malerei, Zeichnungen und sonstigen Bildwerken des belgischen Künstlers James Ensor (1860-1949), den die Salonpersonnage mit pseudobarocken Bilderrahmen aufgenuttet hatte. Wie schön? – das will ich sagen: Da ich selbst Meistermaler bin und eigenartig geübte Augen und Blicke vom Kopf zur Hand habe, besuchte ich Ensor zum vielfachsten Male. Ich sah viele seiner Werke bereits mehrfach vorher, die mein Interesse anregten. Mir schienen sie immer extrem abstrakt – hauptsächlich ideologisch und psychologisch und wenig gelungen. Doch gewichtige Zeugen, wie der von mir sehr geschätzte Paul Klee (1879-1940), an Ensor etwas gefunden hatten – mochte ich glauben, es war bei Klee Ensor als Quelle des Schönen. Ich fand nun in Mannheim Schönes, was in Ensors Haus in Ostende nicht anzutreffen war, was ich jetzt sah und benennen kann.
JAMES ENSOR: Ein ölgemaltes Stillleben, etwa lebensgroß, auf Mahagoni-Holzträger, mit 37,5 cm Höhe auf 46,6 cm Bildbreite, dieses im handlichen Arm-Querformat „Stillleben mit blauer Kanne, 1890/91“ statisch angelegt: Die Kanne und der Fisch in der Mitte der horizontalen Streifenfahne – Alles in hellen Farben. James Ensor hat in jenen Jahren einige Stillleben dieser Art gemalt. Hier das Schöne – bevor ich es noch durch besondere Kontraste Ensorscher Eigenart zeigen will:
Es ist die Schönheit der Zeichnung einer gemalten teilweise sichtbaren weißen Tonpfeife als Malerei – weiter nichts.
Die gemalten Gegenstände im Stillleben, welche diese schöne Zeichnung bietet, vom linken Bildrand nach rechts aufgezählt: sehen wir angeschnittenen dunkelblauen Topfrand, eine aufgeschnittene zertrocknende zum Teil geschälte Apfelsine oder Zitrone, ein Taschenkrebs, eine Art geräucherter Bückling, vielleicht von einer eingetrockneten Makrele, ein kleiner Stapel Spielkarten, schräg darauf, über die Tischkante noch vorne schräg aus dem Bild ragend die angesprochene profane aber elegante Tonpfeife, die die Öffnung des perspektivischen Pfeifenkopfes in geradezu kreisrunder Erscheinung zeigt, in den man hineinschauen kann und der Schatten im Pfeifenkopf nicht gemalter Dreck oder Tabaksreste sind, sondern der Schatten im weißen Tonpfeifenkopf. Zum rechten Bildrand hin finden sich verdorrende Sonnenblumen-Köpfchen und auch am rechten Bildrand ein angeschnittenes Gefäß, eine sinnlose Vase vielleicht. Das gesamte Bild ist ein Emblem einer materiallosen blauen Wasserkanne mit braungoldenem Henkel – Ensor hat nicht versucht Glas darzustellen, noch links daneben ein beinahe unsichtbares Trinkgefäß, rechts ein bernsteinfarbenes Kännchen mit Deckel, immer parallel zum Bildgrund.
Das Schöne ist die geniale Zeichnung der Tonpfeife.
Sie wird in einer unsystematischen Position, also weder parallel noch irgendwie mit blo-ßem Auge beziehungsvoll kontrollierbar dargeboten, aber sicher, dass Ensor der Zeichner sich selbst eine maximale Freude des Schönen gemacht hatte. Der Winkel, in dem der leere hohle Pfeifenkopf mit dem geraden schlanken Pfeifenholm im Hintergrund des ebenfalls schräg liegenden Fisches, ohne Mundstück, verdeckt wird, also verschwindet, macht das Auge glücklich. Warum? Warum so ein gegenständliches Sammelsurium? Ja, es ist in dieser Malerei lediglich eine weiß angelegte Linienzeichnung eines nur teils dargebotenen Gegenstandes, die schrägliegende Tonpfeife; das Warum zu diesem Tafelbild als Motiv für das gesamte Ensemble mutet nämlich wie die Macht des Genies an, eine unregelmäßige gekrümmte regelgemäße Pfeife schräg aufführen zu können. Es ist wie die Macht der Päonie von Erhart Kästner (1904-1974): sie ist mächtig im Mai. Das war es, was Ensor wollte, was er fühlte: Diese Pfeife zeichnen zu können. Das restliche Bild hat er nicht annähernd so schön gemalt, weder den ziemlich schrumpeligen Hintergrund, noch die nachlässigen Materialien, ob Blütenblätter oder das Glas, ob der Fisch oder das Schalentier; das Alles hat er zwar zeichnerisch so erfasst, dass erkennbar ist, was es gegenstellt, aber es ist nur Farbe auf Holz. Die untergeordnet-alltägliche Tonpfeife ist durch Ensor ein gezeichnetes Schönes geworden, das in einer solchen Perspektivik liegt, die den Blick fasziniert. Ob da ein Holztisch seitlich parallel zur Bildkante oder eine marmorierte Tischplatte das Stillleben farblich und kompositorisch auffangen, ist allenfalls geschmacklich oder abstrahiert gut gemalt. Die Zeichnung der Pfeife ist das Schöne. Und nun noch ein Zusatz: Anbetracht aller Ensor-Bildwerke wird völlig klar -, ihn langweilte das Malen in irgendeiner Malereitradition, selbst in einer eigenen, die ihn nicht interessierte. Lieber dudelte er stundenlang auf seinem Harmonium herum. Aber James Ensor wollte epochal sein. Deshalb enthalten alle seine Bildwerke hauptsächlich einen attraktiven Gegenstand, den Ensor zeichnerisch erfasst, ob eine Mücke oder das Todesantlitz seiner Mutter, er zeichnet es faszinierend schön: Die schöne Zeichnung – macht einen schönen Gegenstand. Das Bild für diesen schönen Gegenstand in höchster Kunst des Gelingens insgesamt weiter herauszuarbeiten, etwa zur vollendeten Malerei, dazu hatte Ensor keine Lust. Es ist wie der Klavierschüler, wenn er über die schweren Stellen hinweghuscht. Ich kann es an allen seinen reifen Bildern zeigen – er malte gar keine Bilder, er malte Ideen-arrangements und dann mit einer herausstehenden Schönheit einer zeichnerischen Genieperle, einen Ensor-Geniegegenstand, den keiner außer ihm so isoliert ins Bild gebracht hätte. Gemessen am Schönen sind alle seine sonstigen Erfolgskonzepte, die weltbekannt sind, ob Christliches oder Masken in Bildern oder Programmreihen, konventionelle Langeweile. Die weiße Tonpfeife ist so schön, dass für mich allein dadurch das Genie Ensors erwiesen ist, der so gut sehen und zeichnen konnte, dass es unmöglich wäre, hier mit Zufall ranzukommen; (er hätte die blaue Kanne ebenso schön zeichnen und malen können – hat er aber nicht). Ich würde das Stillleben nicht als Meisterwerk bezeichnen – aber die weiße Tonpfeife ist hinreißend. (Ensor hatte weder mit einer schrägen Stadtansicht von Brüssel noch mit einem schräg ins Bild hinein geruderten Boot Zeichennot – nur zum Zuendemalen reizten ihn die Bildgegenstände immer wieder nicht. Zwar umfassen die Hände des Ruderers die Ruderpinne wunderbar – anders als bei Otto Müller (1874-1930) die Arschbacken, die die Hände verstecken – aber Ensor hat mit seiner Ausmalerei des Ruderbootes eigentlich die schöne Zeichnung verschandelt. Man sieht eben das Schöne noch im Entschönten und sowieso in der Vorstellung des Gegenteils des Schönen. Und es geht hier um das Schöne, nicht um das Genie James Ensors. Vor einem Meistermaler lohnt sich die verirrte Salonpersonnage der Kunstorganisation als Steinwort zu bedenken. Der flache Stein hüpft zwar – um zu versinken.
Du erlebst ein Glücksgefühl, freust dich, findest es so schön, dass du es gleich mitteilen willst. Es kann in deinem Inneren aufkommen. Es kann ein Ideensprung sein, virtuell. Es kann dein eigener Leib sein, physisch greifbar. Es kann ein äußerer Stoff oder sinnlicher Vorgang dein Glückserlebnis auslösen. Jeder kennt die Beglückung eines überraschenden Sonnenstrahls. Wie schön das sein kann. Und es geht nicht um ein mögliches spirituelles Erlebnis durch ein Organisations-Machwerk; es geht um das Glücksgefühl. Mit der rhetorischen Mitteilung vom Glücksgefühl bringst du dein zunächst esoterisches Schönes auf den soziologischen Atlas der Vorstellungswelt. Zeugen können es bezeugen. Oft fehlen die Worte einer Beschreibung des Geräusches, eines Tones, eines Klanges, oder vom Anblick eines beglückenden Lichtes. Wie sagt man es? Was, Ähnliches, lässt sich nennen? (Etwas schmeckte wie Ingwer, nur schärfer). Das kennt jeder Mensch.
Ich werde im nun folgenden rhapsodischen Bericht das Schöne als mögliches Glücks-erlebnis durch Textzitate vorstellen – was nahelegen soll, dass es das Schöne für jeden gibt, hoffentlich zu lesen Spaß macht und mit dem Ursprung im Esoterischen durch eine persönliche Bezeugung als soziale Vorstellung Geltung erhält: Schönheit.
„Wunderschön gesagt“ – diese Worte sind wohlmeinend Worte, die benennen, was alle Welt unter „schön“ versteht. „Schön“ – wohlmeinend – das gilt sinnlich, wie der fliegende Pfeil, aber auch in Veränderlichkeiten. Auch ein schönes totales Leib-Erlebnis kann beglücken. Auch „Wunderschön„ gesagt, als eine ironische Anmerkung, bedeutet doch das Schön zweifellos schön. Ich bezeuge das Schöne rhapsodisch. Und bezeuge „was wirklich zählt“, indem ich Wege meines Bildungsglaubens vorzeige. Wer Augen hat zu sehen, wie eine befruchtete Frau leuchtet, obwohl sie vielleicht selbst von ihrer Schwangerschaft noch gar nicht weiß. Und es heißt im Lied: „derhalben jauchzt, mit Freuden singt“, im beliebten christlichen Adventslied „Macht hoch die Tür“. Jeder kennt das Glas Wasser, halbvoll, halbleer. Man kann beide Sachverhalte so oder so finden. Ich will damit auch – wem das völlig egal sein mag – sagen: Schön ist, was jemand schön findet – es muss derhalben kein ganzer Jauchz sein. Und die eigene Möglichkeit darf man sich wählen. So sollte auch jeder sexuell belebte Mensch eindeutig erkennen und für sich selbst wissen, ob und dass ihm und ihr Koitieren schön anliegen kann und dass ein orgiastischer Höhepunkt, selbst in grenzwertigen Schmerzgefühlen, zweifelsfrei von erlösender Schönheit ist, weil Triebverwirklichung beglückt. Wir sollen Feststellungen zur Schönheit nicht mit Glücksspielarten verwechseln. Weder Priester noch Narr -, öffne ich das Schöne als Gedanken- und Wortgläubigkeit mit sinnspendender Energie. Es ist kein Wortprunk. Weil es herzlich ist. Ich lade es auf, aber das Schöne wirkt auch ohne mich.
Die weitreichend kluge Hannah Arendt ließ sich auf ihrer Abstraktionshöhe auf Schönes ein, wie es in Vita activa – Vom tätigen Leben (1958) zu „Die Beständigkeit der Wahrheit als Kunstwerk“ heißt: „… welche die weltlichen aller Dinge, die Kunstwerke, durch die Jahrhunderte hindurch währen läßt; aber auch diese relative Haltbarkeit ist noch eine Abart des währenden Überdauerns (das Plato für etwas Göttliches hielt, weil es sich der Unvergänglichkeit nähert), das jedem Ding qua Ding zukommt. Jedenfalls ist es diese Eigenschaft, die seine Gestalt, seine Erscheinungsform in der Welt bestimmt und damit die Voraussetzung dafür ist, dass es uns schön erscheinen kann oder häßlich. Dabei spielt natürlich die eigentliche Gestalt für alltägliche Gebrauchsgegenstände eine unvergleichlich geringere Rolle als für die dem Gebrauch entrückten Kunstdinge, und der Versuch des modernen Kunstgewerbes, Gebrauchsgegenstände so herzustellen, als wären sie Kunstdinge, hat genug Geschmacklosigkeiten auf dem Gewissen. Aber der Wahrheitskern, der diesen Bemühungen innewohnt, liegt in dem unbestreitbaren Tatbestand, dass jegliches, das überhaupt lange genug währt, um als Form und Gestalt wahrgenommen zu werden, gar nicht anders kann, als sich einer Beurteilung auszusetzen, die nicht nur seine Funktion, sondern auch seine Erscheinung angeht; und solange wir uns nicht die Augen ausreißen, bzw. uns vorsätzlich der Maßstäbe berauben, die für Sichtbares gelten, können wir gar nicht anders, als alles Dingliche auch danach zu beurteilen, ob es schön ist oder häßlich oder irgendwie dazwischen …“
Traditionell erkennt man das Schöne an einem Wertvorgang, der von uns Menschen-Individuen ausgeht. Vormalige Sinn und Form leben im heutigen modernen Wandel fort. Dabei werden Massenmenschen in entkoppelte Kollektivhaltungen hineingeboren. Sowohl Vergewaltigung durch Technizität und auch Ästhetisierung müssen wir hinnehmen. Sie retardieren und versetzen das Schöne ihrer Anthropologie der Massen (die Masse sind ein Kollektiv einander nicht bekannter und nicht eingeschworener Individuen; eine Menge kennt sich untereinander). Massen in der Massenkommunikation werden zusätzlich der treibenden digitaltechnischen Verwurstung ausgesetzt. Mein Denken der Schönheit sieht uns Menschen konkret einzeln als Kundschaft. Ich stelle mich damit vor die Frage: Was ist der Mensch? und muss bandbreite Möglichkeiten wahrnehmen (soziale Individuen, Massen, Mengen, normierte Gruppen).
„Umsonst geschieht mit Hilfe einer Mehrheit, was mit weniger bewirkt werden kann“ – und sinniere hinzufügend: „Nun – da kleben aber Zweifel“. Gnädiger Geduld halber kann in veranschaulichender Wiederholung die oft so harte Abwehr überspielt werden. Uns Fußgängern tut schon auch „üben üben üben“ gut. Darin steckt eine mechanistische Selbststeuerung, eine materielle Quotierung – nachschauen, was wirklich zählt. Und, solange man noch weiß, wo man ist, kann man einfach über die Zeilen hinwegfliegen. Ich glaube an das zugreifend Gemeinte, wie Gottfried Benn sagte: „Schönheit ist ein menschliches Faktum, genau wie Stundenlohnerhöhung oder Klassenkampf, nicht weniger real.“
So, erst groß, um anschließend mit kleineren Münzen zu zahlen: „… Die Vorsehung hat nicht gewollt, dass unsere zur Glückseligkeit höchstnöthigen Einsichten auf der Spitzfindigkeit feiner Schlüsse beruhen sollten, sondern sie dem natürlichen gemeinen Verstande unmittelbar überliefert, der, wenn man ihn nicht durch falsche Kunst verwirrt, nicht ermangelt und gerade zum Wahren und Nützlichen zu führen, in so fern derselben äußerst bedürftig sind. ..“ gleich gemerkt, schrieb ich beim Königsberger Philosophieprofessor Immanuel Kant ab, der in diesem Text im Jahr 1763 „zu einer Demonstration des Daseins Gottes“ wichtig anführte: „…Es ist ein Gott…“ – und habe im Folgenden einfach als möglichen Beweisgrund meiner Demonstration das Wort GOTT mit dem Wort SCHÖNHEIT getauscht. So möge das heiter werden. Denn Ur-Gott als Ur-Sprung unter Nat-Ur-Gesetzen – gefällt seit Jahrtausenden.
Aber mit Individualität beginnen Persönlichkeiten und Urteilskräfte. Jedes verlangt eine neu zu bedenkende eigene Sinnlichkeit, keine Tricks oder leere Eindruckschindereien; jede Leserin wie jeder Leser hat diese Chance. Das ist nicht einfach „Ästhetik ist in Allem“. Anzuerkennen ist, dass heutige IT-zerstäubte Massen nicht nur Begehrlichkeiten durchsetzen. Sie haben elementare, gewissermaßen legitime Bedürfnisse, denen sie selbst ähnlich fremd sind wie infolge von Instinktschwächen soziale Verankerungen und Wurzeln unterentwickelt sein können. Man greift jeden Strohhalm und versinkt im Narrativen.
Ich glaube hingegen, das Schöne gehört zu den elementaren Bedürfnissen, wollen wir Menschen und Aktanten sein und nicht Pflanzen. Ob wir Menschenglück als Massen mittels Bildungsorganisation für Individuen in ihrem bestimmenden Gruppenwesen erreichen können? Schöne Fragwürdigkeit. Kann individuelles Wohlleben aggressive Entkopplungen in genügend Friedlichkeit auszutanzen? Kann Bildungsorganisation eine individuelle Neuorientierung bewirken, wenn im Zwischenmenschlichen deutlich wird, dass die IT-Zersetzung zuoberst und durchdringend entkoppelt? uns beherrscht und zusätzlich materialistisch bestochen wird. Soll man moralisieren? oder „schöne“ Politik zu machen versuchen? Die Mehrheitsmachtfrage stellen? Materialistisch zu erzwingen suchen? Mitschwimmen? oder Drogen des Umherirrens im Verstellen der Verstellten gebrauchen? Nun ja, „umarme das Schicksal“ lautet Friedrich Nietzsches Feingedanke, der mich immer umgibt. Ich – jedenfalls – glaube an freimütige Bildungslust. Denn ich habe Schönheit als Wirklichkeitssinn auf meiner Seite. Mir genügen für meinen Vorstellungsrahmen des Schönen im Jahr 2022 zwei objektive Umstände:
1. Du kannst Schönes in dir finden; das ist nicht weniger als ein innerer Impuls, ob Idee, sinnlicher Außenweltbezug oder Freude in Bewegung. Und du kannst Schönes begehren – vorstellen, wünschen, anstreben, machen, erleben, aneignen, verwenden, besitzen, weitergeben, inhibieren, besprechen und deinen Menschen zeigen – ich wiederhole nochmal: Hinzuschauen, was wirklich zählt.
Und den zu wenig Selberdenkenden kannst du ausdrücklich sagen:
2. Das Schöne ist nicht Höheres – es ist das Schöne. Es gibt nichts zugänglicheres, demokratischeres und freieres als das sinnlich mitzuerlebende Schöne. Unser Reichtum an Material mit Ausstrahlung – wie Nina Simone und Charlie Chaplin – ist geradezu unerschöpflich Schönes.
Dazu folgendes Zitat eines Buches mit dem Namen „Das einfache Leben“. Wer nachliest, findet die Chance, etwas Schönes zugespitzt wahrzunehmen – hier das Schöne als Kern eines Sprachkunstwerkes, ohne vorab den privaten, daran aufbereiteten Farben des Autors Dietmar Moews ausgesetzt zu sein. Wir lesen:
„… über ein Mikroskop gebeugt, unter dem ein Blatt aus der Blüte einer Dahlie lag, deren Beete draußen wie eine glühende Mauer um das Haus standen.
„Kommen Sie, Orla“, sagte er ohne Überraschung, „und sehen Sie die Schönheit an, die ganz reine, zwecklose Schönheit.“
Er stand daneben und sah zu, wie ein Abglanz des Wunders über Thomas‘ Gesicht ging, der Farben, Linien und Formen, zusammengeschlossen in ein unbegreifliches Bild, und er nickte, als sein Gast meinte, dass also auch in der Entzauberung der Natur etwas liegen könne, was noch tiefer mit Ehrfurcht erfülle, als der Blick unseres gewöhnlichen Auges es schon tue. Nur, sagte er, dürfe man dies vielleicht nicht eine Entzauberung nennen, sondern eine Enthüllung, und es sei eben das Große in diesem schweigenden Pflanzenreich, dass jeder aufgehobene Vorhang näher an das Heiligtum führe, was man beim Menschengeschlecht ja nicht gerade immer sagen könne. …“
Erinnerung – wie sie jeder von uns kennt.
Es passt, wenn man etwa sagt: „Ganz schön“ oder: „Nicht schlecht“ -; das ist wohl zuzu-geben. Wir verstehen in diesen Redensarten das Schöne auf alle Vorstellungsbereiche als ansatzweise gültig. Damit werden nicht Gut oder Böse oder Meinungen über Nützlichkeit und Unnützlichkeit oder die Macht zur Gewalt erwogen. Die spielen völlig anders. Man sagt „na ja“ , meint aber nicht Ja. Ist die Wahrheit im „Monolog„schön? ist Lernen aus Politik schön? wie man verdichtet findet: „Den Darm mit Rotz genährt, das Hirn mit Lügen – erwählte Völker Narren eines Clowns, in Späße, Sternelesen, Vogelzug den eigenen Unrat deutend! Sklaven – aus kalten Ländern und aus glühenden, immer mehr Sklaven, ungezieferschwere, hungernde, peitschenüberschwungene Haufen: dann schwillt das Eigene an, der eigene Flaum, der grindige, zum Barte des Propheten!…“ Besser findet man sich allerdings hinein, wenn es heißt: „Die Päonie ist mächtig im Mai“ (Erhart Kästner).
Will da wirklich jemand glauben, man dürfe an der Eindeutigkeit zweifeln, wenn der Dresdner Volker Braun sagt: „Dresden war die Erfahrung von Schönheit und Grauen, Schöpferkraft und Vernichtung – das ist eingebrannt“, (Braun, geb. 1939, ansonsten mit Brecht völlig verrannt). „Das einfache Leben“ von Ernst Wiechert (1887-1950), wo die Dahlien in Orlas Zwiegespräch vorkommen, hilft dabei, Abirrungen über Natur und Objektivität beiseite zu schieben. Ich betone, dass die Wahrheit in unseren Bildern von den Dingen und nicht in den Meinungen liegt – dass man schauen und lauschen muss, wenn man kann – denn die Ambivalenz der individuellen Gefühle ist, lediglich, wie das Schöne selbst, in prüfbaren Tatsachverhalten in der individuellen Objektivität. Dagegen sind viele Beispiele der Redensarten für das sogenannte Schöne lediglich Anklänge zum etwaigen Naturschönen. Wohl sind auch Symmetrien in der Natur Eigenheiten – Münzen, die zum Zahlen geeignet sind, die aber vom Schönen ablenken, wie eine Amsel, die mit Theater von ihrem Gelege ablenkt. Soviel als Einleitung zum Anderssein als Menschenrecht für das Schöne.
Modernes Irren geht ohne Literatur
Damit komme ich zu dem für mich entscheidenden Gedanken vom „modernen Irren“. Die heutige Vorstellung von der geistigen Ausrichtung der heutigen Menschen in Deutsch-land hebt zwar auf möglichst zureichende Bindung an die Erde ab. Doch jeder spürt die löchrige Bewusstseinslage der Menschheit in ihren Farben. Man erlebt geistige Spielräume, durchaus im Sinne von stets zu aktualisierenden Gut und Böse als angesagtem Humanismus. Doch mit den Symbolspielen innerhalb der politisch wertenden Gemeinschaftsformen finden aus meiner Sicht zwei völlig verirrte Ideen Gestaltungsmacht über unsere Menschen-Gewalt-Kultur: Zum Einen dass Nichtwissen (Nichtwissenkönnen als Immanuel Kants relativiertes „Ding an sich“), zum Anderen stattdessen das vielfältige Meinen über die Dingwelt und dessen Effekte – also Unkenntnisse und Meinungsdurcheinander, Irgendwas mit feucht und warm wird es schon sein. Dabei kommt mir „die selbstverschuldete Unmündigkeit“ wie ein leerer Ringschluss vor. Man sollte die „moderne“ Verirrung dingfest machen. Es ist eine verheerende Verirrung, das Schöne nicht erkennen zu wollen, nur weil man die Schönheit als Vehikel der bösen Möglichkeiten und der willkürlichen Verdinglichungen verdächtigt. Das Schöne, als um die Ecke gedachtes Böses in der politischen Geschichte, ist eine goethesche Volte, eine glanzlose Perle. Denn wir können wohl die geradezu historisch gewordene Beschwörung von Lebensdienlichkeit von Bildung und Erziehung und der überdeterminierten Individualität nicht bezweifeln. Und darin steckt als Lohn von Mühe – auch ganz pragmatisch – ein freiwilliges Schönes. Es gehört zweifellos zu unserer Kultur. Wir wählen uns Mühen als gewünschte Rüstung der nicht immer leichtfälligen Kommunikation. Wir nutzen unser Zimmer zum Lesen, nicht nur als Umkleidekabine. Aber oft genügt das Lesen nicht. Und man fragt: Wie ist der Mensch? wie müssen wir uns bewegen, damit Bildung und Erziehung neu, besser gedacht werden. Heere Ziele erklären, ist nach jahrhundertelangen Beschwörungen überfällig geworden. Oder, brauchen wir eine neue höhere Kunst der Bildung (Fichte)? Der moderne deutsche Staat hat das Schöne in der Kultur, besonders im Kunstmeinen (als angeblich aufgeklärtes vormodernes Böses), nunmehr noch in historischen Kunstmuseen. (Wie Deutsch dürfen wir denn sein?) So wird dann gemacht, dass die zeitgenössische Kunstorganisation völlig untransparent, unerklärt und irreführend aufgezogen wird. Egal, was irgendwelche individuellen Künstler desungeachtet in Selbstausbeutung an Schönem hervorbringen. Dafür täuscht das Kunstgewerbe Tauschkunst vor, die dem Handel gefällt aber gar keine echte Kunst des Gebrauchs ist. Digitale Reproduktionen, unverschämt auch noch als K I, Künstliche Intelligenz, bezeichnet. Und mit NFT – das soll Non-Fungible Token (NFT) bedeuten – wird ein nicht ersetzbares digital geschütztes Geldwäsche-Objekt der neueste Gag des Westkunst-Messe-Syndikats im staatlich bezeugten Kunstbetrieb. Immerhin – enthält die Verfassung des Freistaates Bayern noch einen Sonderpassus zur Volkskunst-Förderung. Und das ist nicht nur bayerische Brauchtumspflege, denn Schön – lebte ich in Bayern bis 1995.
Die Schönheit des Schönen kommt auf dich – und hier liegt zugegeben schon eine schlussgefolgerte Willkür – sie kommt jetzt von mir auf dich und aufs soziale Erleben. Ich bezeuge damit, infolge meiner individuellen Entfaltung als Kind in den 1950er Jahren, was auch für alle Menschen gelten soll. Mein Ich-Verständnis war, dass jedes andere soziale Lebewesen als ein eigenes Ich, in der Getrenntheit zum Nicht-Ich, feststand. So widerfährt auch dir, wie dein Ich als eine Vorstellung, Dinge, Meinungen, Schönheit, Absicht, Sichtbarmachen, Lust, Enthüllen, Glücksgefühl, schließlich Denken durch Sprache als Anker herzustellen, anfertigen, gebrauchen und verbrauchen begrifflich immer wie ein schönes Steinwort ausufert, mal scharfsinnig, mal wahrnehmungsstörend, mal verbindend oder zutiefst beunruhigend. Glücklich, wers spürt. (Da wurde bereits viel Ich-Wissen des Fichte (1762-1814 – in kindlicher Naivität durchgekostet). So lässt sich Johann Gottlieb Fichte, dem bedeutenden Kant-Adepten aus seinem Spätschaffen, 1808, zitieren:
„… Ich hatte in jenen Vorlesungen gezeigt, dass unsere Zeit in dem dritten Hauptabschnitt der gesamten Weltzeit stehe, welcher Abschnitt den bloßen sinnlichen Eigennutz zum Antriebe aller seiner lebendigen Regungen und Bewegungen habe; … Mit uns geht, mehr als mit irgendeinem Zeitalter, seitdem es eine Weltgeschichte gab, die Zeit Riesenschritte .. Irgendwo hat die Selbstsucht durch ihre vollständige Entwicklung sich selbst vernichtet, indem sie darüber ihr Selbst und dessen Selbständigkeit verloren; und ihr, da sie gutwillig keinen andern Zweck, denn sich selbst, sich setzen wollte, durch äußerliche Gewalt ein solcher anderer und fremder Zweck aufgedrungen worden. Wer es einmal unternommen hat, seine Zeit zu deuten, der muss mit seiner Deutung auch ihren Fortgang begleiten, falls sie einen solchen Fortgang gewinnt; … Ich setze voraus solche deutsche Zuhörer, welche nicht etwa mit allem, was sie sind, rein aufgehen in dem Gefühle des Schmerzes über den erlittenen Verlust, und in diesem Schmerz sich wohlgefallen und an ihrer Untröstlichkeit sich weiden, und durch dieses Gefühl sich abzufinden gedenken mit der an sie ergehenden Aufforderung zur Tat; sondern solche, die selbst über diesen gerechten Schmerz zu klarer Besonnenheit und Betrachtung sich schon erhoben haben, oder wenigstens fähig sind, sich dazu zu erheben. Ich kenne jenen Schmerz, ich habe ihn gefühlt wie einer, ich ehre ihn; die Dumpfheit, welche zufrieden ist, wenn sie Speise und Trank findet und kein körperlicher Schmerz ihr zugefügt wird, und für welche Ehre, Freiheit, Selbständigkeit leere Namen sind, ist seiner unfähig: aber auch er ist lediglich dazu da, um zu Besinnung, Entschluss und Tat uns anzuspornen; dieses Endzwecks verfehlend, beraubt er uns der Besinnung und aller uns noch übriggebliebenen Kräfte, und vollendet so unser Elend; indem er noch überdies, als Zeugnis von unserer Trägheit und Feigheit, den sichtbaren Beweis gibt, dass wir unser Elend verdienen. Keineswegs aber gedenke ich Sie zu erheben über diesen Schmerz durch Vertröstungen auf eine Hilfe, die von außen her kommen solle, und durch Verweisungen auf allerlei mögliche Ereignisse und Veränderungen , die etwa die Zeit herbeiführen könne: denn, falls auch nicht die Denkart, die lieber dem blinden Ohngefähr, als sich selber verdanken will, schon an sich von dem sträflichsten
Leichtsinn und der tiefsten Verachtung seiner selbst zeugte, so wie sie es tut, so haben auch noch überdies alle Vertröstungen und Verweisungen dieser Art durchaus keine Anwendung auf unsere Lage. Es lässt sich der strenge Beweis führen, und wir werden ihn zu seiner Zeit führen, dass kein Mensch und kein Gott, und keines von allen im Gebiete der Möglichkeit legenden Ereignissen uns helfen kann, sondern dass allein wir selber uns helfen müssen, falls uns geholfen werden soll …“Fichte meinte es ernst, wie auch Nietzsche ernst meinte mit „Von Ohngefähr“ – das ist der älteste Adel der Welt, den gab ich allen Dingen zurück, ich erlöste sie von der Knechtschaft unter dem Zwecke“ („Also sprach Zarathustra III“, 1884).Wir können die Schönheit solcher anscheinend widersprüchlichen Sätze in ihrer metaphysischen Schönheit erkennen, wenn wir sie in unseren Gedanken in sehendes Ohngefähr umwerten. Hier hilft eine Lesepause, damit selbst denkt, was da zum Erkennen anregen könnte.
Nun folgende kleine Darstellung der Schönheit ist auf das Jahr 1925 datiert. In jenem Jahr hatte der Sozialdemokrat Theodor Lessing (1872-1933) seinen Schmähtext über den Militäradeligen, schicksalsschrecklichen Hindenburg, veröffentlicht. Ich schicke voraus: Denken sehe ich hier als Möglichkeit zweckrationaler Vorstellungsorientierung – Denken ist Lebensdienlichkeit. Und ich gebe zu, dass es dazu unendlich verschiedene Denkweisen gibt, denen Zweckrationalität unbestreitbar vorkommt. Man denkt in abfolgenden Sachlagen von Dingen und Personen, von Situationen und sozialen Schlussfolgerungen und Urteilen. Man denkt auch spekulativ, vom Wirklichkeitssinn herkommend zu dinglichen Möglichkeiten. Man denkt auch latente Ursächlichkeiten. Man denkt in ganz verschiede-nen Bewusstseinslagen, scharfschlüssig bis rauschhaft oder schlafend, mit Absicht, auch ohne Absicht oder gegen Absicht. Man denkt und urteilt aber auch über eigene Bewegungen der Gliedmaßen und koordiniert äußerliche und innere Leibesfunktionen. Man überlegt sich wie konkrete Geschehnisse unerwartet werden konnten, während gewohnte Alltäglichkeit wegen Zufälligkeit ausblieb. Man denkt auf seine örtliche Wahrnehmungssituation und wechselt Ort und Zeit in seinen Gedanken. Es kommt durch unser Sprechen zu einer sozialen Geltung. Schreiben hilft. Man kennt Kants Frage nach dem „an sich“. Man nimmt Dinge einer konkreten Wahrnehmung als Symbolspiel verschlüsselter Verläufe, über die das Denken fantasieren kann. Dabei wird aus Gedanken Verstimmung, bis zu Angst, Übermut oder gute Laune. Man nutzt erlernte Symbolspiele, wie Sprachtexte, tritt mit sich selbst in Deutungsverhandlungen und bedenkt während des Lesens linguistische Deutungsvarianten. Man produziert absichtliche Wortäußerungen, spricht oder schreibt unter kontrollierter Nutzung von Medien. Der Künstler denkt das Schöne beim vorgestellten Machen, das er aus sich heraus im Material anfertigt. Denken wird sogar im Gegensatz zur Lebensdienlichkeit gesehen. Der Kunstliebhaber konsumiert als szenisches Erlebnis und im Nachdenken. Es gibt Entfremdungen mittels Drogen. Traumübergänge. Menschen spielen auch gern zur Erleichterung, meiden leicht mal konzentriertes Denken, bis zur Auflösung bewussten Vorstellens in Sinnbezügen oder versuchen Brainstorming und Assoziationsübungen, wenn der produktiv selbstlaufende Fluss gerade nichts bringt. Hier kann ich konkret anknüpfen, ohne dass damit ein genauer Zeitpunkt für den modernen Hass gegen das Schöne angegeben werden soll. Moderne Desorientierung lässt sich zwischen den Vorstellungen von der Schönheit und den Irrläu-fen der Desorientierung durch Erkenntnisgift – bis in die ältesten mir bekannten Texte zitieren (Las ich doch vorjüdische Thora-Texte: wie viele Götter dürfen es denn sein?). Weltweit herrschen vielfältige Vorstellungskulturen, sozial abgegrenzt in Völkern genealogisch vom Leben zum Tod erfolgreich. Doch bei Berührungen und Überschneidungen macht man kriegerische Wertkämpfe zur Macht über die Andersvorstellenden – anschei-nend schwer vermeidbar.
Wertewandel und Umorientierungen, zumal wenn man mal bei Geopolitik angekommen ist – dann wissen wir, dass wir Gartenzwerge im Globus mit Vorgarten sind. Roman Herzogs (1934-2017) Ruck war eine soziale Abirrung infolge der Gedankenarmut eines Juristen – sage ich als empirischer Soziologe. Für die Darstellung der Schönheit ist nicht erforderlich, das Jahr festzulegen. Wann immer die politische Macht das Irren von einer möglichen Denkfunktion zur Denkstruktur angenommen hatte und darauf kommunikativ gewalttätig geworden ist, haben wir Grund unser Denkvermögen zu bemühen – auch das ist schön. Das betrifft unsere staatspolitisch in Macht gehaltene Kulturindustrie. Schon kaiserlich – nicht zu vergessen – bereits der Reichskunstwart Edwin Redslob (1884-1973) machte sich seinen persönlichen Karriere-Expressionismus. THEODOR LESSING stellte sich das so vor:
„Wenn man in das gute väterliche Antlitz des alten Hindenburg blickt, so fällt zunächst auf: die fast furchtbare Schwere dieses Antlitzes. Henrik Ibsen gebraucht von solchen Menschen, die nicht loskommen können von der Begrenzung ihres Selbst, die Formel: „Sie sind eingespunden im Fasse des Ich“. Solch ein Eingespundener, die schwere Masse der Erde, der gewiß nichts ferner liegt als alles leichte Spielen und Tänzertum, solch ein Ernster und Gediegener ist der alte Hindenburg. Ich kenne dies Antlitz und kenne sein Leben seit früher Jugend. Ich habe es oft mit Lächeln, oft mit Ehrfurcht, immer mit Rührung betrachtet. Bismarck hat von sich selber das schöne Wort gebraucht: „Ich bin mit vollem Bewußtsein auf einer gewissen Stufe der Entwicklung stehen geblieben“. Das hatte Hindenburg nicht nötig. Die Natur hat ihn einfach, so gradlinig und selbstverständlich gewollt, daß es überhaupt nichts zu entwickeln gab; nur die unbedenkliche Entfaltung eingeborener Vorurteile. Deutscher, Preuße, Christ, Monarchist, Soldat, Kamerad, zugehörig nach Lebensschnitt und Gesichtskreis der sauberen und gehaltenen Menschenschicht, die im „Kleinen Gotha“ und in der „Rangliste“ ihre Normen hat, das war alles so zweifelsohne und selbstverständlich, daß Menschen, die anders fühlen, eben anmuten wie ein Chinese oder wie ein Anbeter des Buddha. Das mag es geben; aber: „es gehört doch nicht mit dazu“. Und wenn er „Wir“ sagt und „Wir Deutsche“, dann setzt er treu und warmherzig gesinnt voraus: im normalen Falle müßten alle richtiggehenden Menschen eben auch so sein wie die im Gotha und die in der Rangliste. – Wenn man gewöhnt ist, die ungeheure Allseitigkeit und irre Buntheit des Lebens mit der Kraft wissenden Geistes zu bewältigen, dann blickt man mit der Rührung und dem Lächeln, mit dem man auf die Blume und den Vogel blickt, auch auf eine Mannesgestalt, die mit der ganzen Schönheit der Unwissenden durch Meere von Blut, durch Ströme von Galle, über Berge von Hindernissen kinderleicht hinschreitet von ungeheuren Verantwortungen bedrückt, und doch im Kerne unverantwortlich, weil sie nicht einmal imstande, das Recht der anderen Seite und die Doppelnatur alles Lebendigen auch nur zu sehen. Welcher Mensch eignete sich besser zum Fetisch, zur Statue, zum Symbol? Als Hannover noch Königreich war und der König immer in England weilte, da hat man statt seiner in der Hofburg dem leeren Thronstuhl seine Referenz und sein Defilé gemacht. Und man hatte damals nicht einmal eine symbolische Puppe …
Obwohl ich die Gestalt des Helden, der mehr Menschen um der „Ideale“ willen in den Tod schicken konnte als Alexander, Cäsar und Attila, obwohl ich das gute, schwere, demütig treue Antlitz, dank vielerlei zufälliger Verknüpfung aus naher Nähe seit früher Jugend kenne, so habe ich doch die volle Einfalt und Heiligkeit dieser geschichtlichen Person erst später begreifen gelernt. Es war an einem Jahrestage der Schlacht von Tannenberg. Ich war aushilfsweise an einem Gymnasium der Stadt als Lehrer tätig, und die Schulen sollten, „Deutschland über alles!“ singend, an Hindenburgs von der Stadt geschenktem Hause vorüberziehen. Die vielen hunderte von hellbegeisterten Kindern gingen unter Führung der Lehrer froh jubelnd an dem alten Mann vorüber; der stand schwer und ernst auf der Vortreppe seines Hauses; wir hatten das Glück unmittelbar vor ihm zu stehen, als er die Hand hob und seine herzenswarme Ansprache an die Jugend begann. Ich möchte diesen Augenblick wohl noch einmal erleben; diese Mischung der Gefühle, Komik und Ergriffenheit, vollkommene Vereinsamung und Einssein mit allen Kindern; herzliches Lachen des Übermutes und geheiligter Demut; vor allem aber mein Erstaunen, denn diesen Grad von Kindlichkeit hatte ich doch nicht für möglich gehalten. Hindenburg (wir standen Auge in Auge) sagte voller tiefsten Ernstes:
„Deutschland liegt tief danieder. Die herrlichen Zeiten des Kaisers und seiner Helden sind dahin. Aber die Kinder, die hier „Deutschland über alles“ singen, diese Kinder werden das alte Reich erneuern. Sie werden das Furchtbare, die Revolution überwinden. Sie werden wiederkommen sehen die herrliche Zeit der großen siegreichen Kriege. Und sie, meine Herren Lehrer, Sie haben die schöne Aufgabe, in diesem Sinne die Jugend zu erziehen.“ (Die Bengels stupsten sich an und feixten.) „Und ihr, meine lieben Primaner, werdet siegreich, wie die Väter waren, in Paris einziehen. Ich werde es nicht mehr erleben. Ich werde dann bei Gott sein. Aber vom Himmel werde ich auf Euch niederblicken und werde mich an Euren Taten freuen Euch segnen.“
Dies alles in tiefstem, heiligstem Ernste! Man fühlte: dieser alte Mann glaubt Wort für Wort alles, was er da sagt: da ist kein unlauterer Klang. Das glaubt er allen Ernstes: nach dem Tode kommt er zu Gott; sitzt auf einer Wolke; betrachtet sich von bevorzugtem Sitze aus Deutschland und segnet meine siegreichen Jungen. Der keckste von ihnen zeichnete nach diesem „historischem Erlebnis“ ein Bild: Hindenburg als Engel auf der Wolke schwebend und unsere Prima segnend. Es wäre leicht gewesen, solchen Spott zu stärken; aber (und dies ist merkwürdig) es war keiner unter uns, der ihn nicht beleidigt verwarf. Wir fühlten, es ist nicht ritterlich, es ist gemein, dort mit Waffen des Geistes zu kämpfen, wo überhaupt gar keine Macht und Möglichkeit gegeben ist, mit ähnlichen Waffen zu erwidern. Aber selbst im altpreußischen Adel und in jenem Junkertum, dessen geistige Ansprüche vollauf gedeckt sind durch „wochentags die Kreuzzeitung und sonntags eine gute Predigt bei Herr Pastor,“ selbst in jenem ganz von Traditionen und Außenschliff lebenden Beamtenklüngel, der aus den feudalen Korps der Universitäten oder aus den für standesgemäß geltenden bevorzugten Regimentern seinen geistigen Nachwuchs bezieht, dürfte die gleiche Geistesferne und Geistesfremde doch wohl nicht häufig sein. Als Hindenburg als Kommandeur in Oldenburg stand, hielt der Freund meiner Jugend, Wilhelm Jordan, einer der besten und größten Männer Deutschlands, dort in der „Literarischen Gesellschaft“ eine Rhapsodie aus den Nibelungen, Hindenburg wurde gebeten, diesen Abend zu „protegieren“. Er antwortete mit einem Brief, in welchem es heißt: er habe als Militär leider nicht Zeit gefunden, sich mit Literatur zu beschäftigen, und könne daher die Nützlichkeit und den Wert des Abends nicht beurteilen. Es gehört doch immerhin ein gutes Stück Barbarei dazu, um als Deutscher die Bedeutung des Nibelungenliedes nicht zu kennen; aber es bezeugt eine seltene Klarheit und Ehrlichkeit, daß ein braver Soldat das eingesteht. Aber wenn man die Anzahl der Bücher, die er in seinem Leben gelesen hat, gewiß zählen kann, er hat eine Beziehung zu den bildenden Künsten, die merkwürdig ist, er sammelt Madonnenbilder; es kommt nicht etwa darauf an, von wem sie sind, es kommt nicht darauf an woher sie sind. Er sammelt sie, wie andere Briefmarken sammeln, und keineswegs etwa aus religiösem Triebe: ein Zimmer seiner Villa ist dazu bestimmt, nur Madonnenbilder aufzunehmen. Diese Erscheinung bietet dem Menschenbetrachter alle die Freude, die das eng in seiner Grenze beschlossene und seine Grenze naiv bejahende, unbekümmert sich selbst erfüllende Leben gibt. Klare, wahre, redliche und verläßliche Natur, ohne Problematik und Falschheit. So zeigt sich auch dieser Mann im Spiegel seiner Lebenserinnerungen. Aber man soll sich dennoch sehr hüten zu urteilen: das ist ein ganzer voller Mensch. Ich will nicht sprechen von der Unmenschlichkeit und dem warmherzigen Egoistentum dieser naiven Selbstgerechtigkeit. Von dem Augenblick, wo dieser unpolitischste aller Menschen zu einer politischen Rolle mißbraucht wird, wird ein Anderes entscheidend: Dieser Mann ist durch und durch Mann des Dienstes. Hier sind noch nicht einmal die Ansätze zu einer selbst entscheidenden und grübelnden und wägenden Persönlichkeit. Hier wird immer die Instruktion, die Überliefe-rung, der Consensus, das „Man muß doch“, „Man darf doch nicht“ das allein Wesentliche sein. Ein guter „treuer Bernhardiner“ ist der „getreue Eckart“, der „brave Hort und Schirm“ doch nur gerade so lange, als ein kluger Mensch da ist, der ihn in seine Dienste spannt und apportieren lehrt; in Freiheit würde aus ihm ein führungsloser Wolf. Eine Natur wie Hindenburg wird bis zum Tode fragen: Wie kann ich dienen? Es ist gewiß ergreifend und rührend, daß während des Weltkrieges eine der übelsten und bösesten Naturen der Weltgeschichte gerade diese einfältigste und treugläubigste seinem Ehrgeiz und seinem Machtwillen dienstbar machte, gedeckt von der Flagge der nationalen Ideale. Aber da zeigt sich auch die Gefahr! Nach Plato sollen die Philosophen Führer der Völker sein. Ein Philosoph würde mit Hindenburg nun eben nicht den Thronstuhl besteigen. Nur ein repräsentatives Symbol, ein Fragezeichen, ein Zero. Man kann sagen: besser ein Zero als ein Nero. Leider zeigt die Geschichte, daß hinter einem Zero immer ein künftiger Nero verborgen steht….“
Es lohnt, diesen selbstbewussten Ausbund der Zweibeiner, den Greis Hindenburg, in Ruhe anzunehmen – da steckt schließlich auch Schönes drin.
Das Dasein steht hinaus in das mögliche Sein
Liebe Leserin, das Schöne wird hier nicht als Mittel zu Freude, Wohlbefinden, Liebe, Trauer, Gesundheit, Heilung, Erfolg, Genuss, Ruhe, Privatdiskretion, Vertraulichkeit, Hy-giene, Körperpflege, Gefallsucht, Esoterik, Traum, Rausch, Täuschung oder sozialem Schmierstoff erörtert. Wer Esprit erlebt, weiß was schön ist. Wer als hochbegabter Vater mit intelligenter Frau zu Eltern eines blöden Abkömmlings wurde und nach knapp dreißig Jahren merkt, hier wuchs ein dummer, phlegmatischer Fleischklops heran, wird Kindha-ben oder Kindsein nicht schön finden, ob Gottes Ebenbild oder nicht. Und wir sollen dar-über offen und deutlich verkehren. Denn genauso, nur umgedreht, können bescheuerte minderbemittelte Eltern eine genial epochale Tochter haben, die – wie Heinrich Jung-Stilling (1740-1817) – ihnen schon früh entfleucht, ohne dass die begreifen, wie das sein kann. Kurz – Kind haben oder nicht, ist nicht schön, sondern Natur, an der wir wenig Verdienste haben, viel Mühe und auch sehr tiefe Freude und Erfüllung erleben können.
Die Erlösung liegt in der Bildung der Menschen, hin zum Schönen. Das ist mit Kants vier Fragen – Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Wie ist der Mensch? – unsere Bildung zur Fairness, die im Schönen liegt. Ich halte „ohne Begriff“ und ohne Interesse von „allgemein gefallen“ das Schöne für möglich. Mit Kant würde ich es der ausgefalteten praktischen Vernunft zuordnen. Nur, was solls?
Da macht es Schopenhauer – durchaus Kants Tiefgang schätzend – einfacher. Seine Lehre vom „Primat des Willens“ bildet die zentrale Idee der schopenhauerschen Philosophie. Sie begründet die Aktualität von Schopenhauers Werk – ich nenne es einen finalen Kausalismus: Was ist, hatte Gründe so zu sein. Willensfreiheit kennt Schopenhauer nur gemäß seiner berühmt gewordenen These: „Der Mensch kann zwar tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will.“ „Daß wir Alle die menschliche Schönheit erkennen […], im ächten Künstler aber dies mit solcher Klarheit geschieht, daß er sie zeigt, wie er sie nie gesehen hat […]; dies ist nur dadurch möglich, daß der Wille, dessen adäquate Objektivation, auf ihrer höchsten Stufe, hier beurtheilt und gefunden werden soll, ja wir selbst sind.“ Arthur Schopenhauer hielt Verneinen für menschenmöglich; auch so rum kommt man zur bedingungslosen Schönheit. Dies reicht, es einmal zu lesen, während Schopenhauer vom Lesen seiner Texte abriet, wer nicht zum Dreimallesen bereit war,
Und nun noch Friedrich Nietzsche, der sinnliche Musikant (1844-1900), dem das Schöne derart zeitgeistlich verlitten war, dass er ins Dionysische verspannt abtanzte: Als der tolle Mensch umarmt Nietzsche das Schicksal (amor fati) und schrieb, die ganze Moderne leide an décadence. Dagegen sei nun eine „Umwertung aller Werte“ nötig. Wie genau allerdings die neuen Werte ausgesehen hätten, wird aus Nietzsches Werk ihm selbst nicht klar. Diese Frage und ihr Zusammenhang mit den Aspekten des Dionysischen, des Willens zur Macht, des Übermenschen und der Ewigen Wiederkunft werden bis heute diskutiert. Dabei ist Nietzsches Wille zur Macht mehr oder weniger nur andersformulierte Schopenhauer-These vom zureichenden Grunde, wie Leibniz beste aller Welten. Und Nietzsche den Thron zu gönnen, behaupte ich, jener Europäer Nietzsche war ein Prinz aus einem preußischen Neunweiberhaushalt, dessen Sensibilität und sozio-geistige Dynamik niemals ernsthaft zweifelnde Erörterungen des Schönen hätten aufkommen lassen können. Haben doch medizinwissenschaftliche Zahnärzte mal Zähnezerstörung als Karries erkannt, erfanden sie eine handwerkliche Anwendung, wie ein befallener Zahn von diesem Zahnfraß durch Bohren und Fräsen befreit werden konnte und dann mit einer Bleifüllung so ein Loch im Zahn ausgefüllt werden konnte, mithin, zunächst „plombiert“, Schmerzen weg und Beißen und Kauen wieder schmerzfrei möglich waren. Aber viel später entdeckte man, dass Blei als Plombe und die späteren Amalgam-Füllungen zu dauerhaften Vergiftungen des Zahnpatienten führen konnten. Wer das entdeckt hat und wem diese Entdeckung dann bestätigt wurde, der hat das Schöne in dieser Naturwissenschaft erlebt und kann es bezeugen. Inzwischen hat die Zahnwissenschaft weniger giftige Füllmaterialien als Zahnergänzung entwickelt, die appliziert werden, und man wundert sich, zur Vorsicht des Gebisses über deren Härte. Und wie ging es dem Physiker Einstein, der das Schöne mittels der allgemeinen Relativitätstheorie erkannte, mittels derer Flugbahnen von Raumfliegern vorherbestimmt wurden, die mit Gravitationseffekten Lichtablenkungen bewiesen und – wir wissen – diese ballistischen Flugschleudern, samt Taikonauten, kamen zur Erde zurück, ohne von der Atmosphäre abzuprallen. Ja, Naturwissenschaft! – wer will da schon mitreden. Für Immanuel Kant, der seine „Relativitätstheorie“ ebenfalls positivistisch betrieb und verstand, finden sich jedenfalls keine seriösen Gegenredner. In der modernen Geisteswissenschaft aber ist das vollkommen anders: Begehrliche Schwachmaten haben mittels parteipolitischer Mehrheitsmobilisierung der Mediokrität den Positivismus zur Dingwelt einfach überstimmt, ohne ihn zu meliorisieren oder zu widerlegen. Folglich produzieren die modernen Geistes-wissenschaften prinzipiell zwar viele Studenten, die man fragt: Was kannst du? völlig verblüfft Geräusche von Medien und Kommunikation nachahmen. Zum Glück schießt man die nicht ohne positivistisches Erkenntnisvermögen ins Weltall, denn sie kämen sicher nicht zurück.
Vermutung zu den eigenen Lieblingsmalern
Ich vermute nun, dass eine Gesellschaft stets und zu jeder Zeit besser und schlechter geführt werden und stattfinden könnte, als es jeweils konkret der Fall ist. Das tägliche allseitige Triebspiel – aus Triebverwirklichung, Triebhemmung und Triebverzicht – muß allen Prinzessinnen und Prinzen von früher Jugend an von ihren Primärpartnern, Familien und Vorbildern ganz nüchtern mitgeteilt werden. Wer mich mit ihrer Brust säugte und aus deren Hand ich das erste Brot aß, ist dran. Es kommt darauf an, immer an das Schöne zu erinnern. Das Schöne ist unkorrumpierbar und für jeden Menschen mitzuerleben. Und das Schöne hat ungeahnte soziale Potenziale, Anschluss und Vertrauen geradezu zu produzieren. Das weiß, wer einmal gemeinsam aufs Meer geblickt hat und dabei hinter der zweiten Sandbank die Heringe in der Sonne hat springen sehen. „Ick seh die im Glase, sächt de Pommer“ – oder sind es Makrelen? Da ist man dann im Schönen sozial gerettet und aufgehoben. Dagegen blieb Bert Brechts versiechenden Textweiber-Fabrik-Clubs, quasi Krankheit von Unschönheit auszubrüten, es blieb ihnen nichts, als auseinander zu laufen. Die waren für das Schöne verloren – dumm nur, dass heute deren Enkel immer noch glauben als Wechselbalge Staat machen zu können (auch wenn Otto Müller Hände nicht malen konnte und weder vom verbeulten Beuys (1921-1986) noch von der hartschigen Pina Bausch (1940-2009) durch Kettenrauchen zum Zitterspiel und Fiakafahren gelangen). Wohl wahr – da sind feine Violinisten, ob Jean-Auguste-Dominique Ingres (1780-1867) in Montauban und Paul Klee (1879-1940) in Bern, geeignetere Zeugen des Schönen, denen ich hier zuschreibe.
Wie eingangs versprochen, bis auf die Pointen zu Beginn und einem kurzen Zwischenspiel der Moderne-Verirrung, lasse ich die reiche Welt des Schönen meines Lebens sprechen – und komme zum Schluss.
Der fällt überraschend kurz aus:
„Gleich auf das Gute in jeder Sache treffen. Es ist das Glück des guten Geschmacks. Die Biene geht gleich zur Süßigkeit für ihre Honigscheibe und die Schlange zur Bitterkeit für ihr Gift. So wendet auch der Geschmack einiger sich gleich dem Guten, der anderer dem Schlechten entgegen. Es gibt nichts, woran nicht etwas Gutes wäre, zumal ein Buch, als ein Werk der Überlegung. Allein manche sind von einer so unglücklichen Sinnesart, dass sie unter tausend Vollkommenheiten sogleich den einzigen Fehler herausfinden, der dabei wäre, diesen nun tadeln und davon viel reden, als wahre Aufsammler aller Auswürfe des Willens und des Verstandes anderer, so häufen sie Register von Fehlern auf, welches mehr eine Strafe ihrer schlechten Wahl als eine Beschäftigung ihres Scharfsinnes ist. Sie haben ein trauriges Leben davon, indem sie stets am Bittern zehren und Unvoll-kommenheiten ihre Leibspeise sind. Glücklicher ist der Geschmack anderer, welche unter tausend Fehlern gleich auf die einzige Vollkommenheit treffen, die ihnen aufstößt.“, schlägt es Baltasar Gracián schon um 1640 mit seinem „Oraculo manual, y arte de prudencio“, dem geschätzten Handorakel vor, das uns Arthur Schopenhauer überliefert hat.
Ich sehe, wie schon Gracián mit dem Ausdruck Leibspeise den kitzligen Punkt trifft, wo der speisende Leib die Leibspeise als Schönes sinnlich erkennt, und doch nicht das Schöne wirklich konstituiert: Denn für das Schöne einer Leibspeise ist ein Leib nicht nötig.
Ich schließe mit dem Schönen als Wunder, wie es im Grünen Gewölbe von Dresden als
Wettiner Wunderkammer der ganzen Welt bereitsteht und wie das Heilige, als Heilige Orte, das ich vom Causse Mejean in den südfranzösischen Cevennen kenne, von Soglio im Bergell oder wie Andreas C. Junge (geb. 1954) in seiner Film-Erzählung zu „Güstrow – Erzählung einer Reise“ (Youtube), mit eigener Musik geschaffen hat. Immanuel Kant sah, wie der Bestimmungsgrund des Schönen wie auch das Begehrungsvermögen zum Schönen in der Lebensdienlichkeit gegeben sind. Mensch sein ist Vorstellungsorientierung mit Verstand und Vernunft. Wir sehen es, und doch sind wir mehrheitlich zu gruppendumm, an einem Strick zu ziehen – zu Tausenden modern wir in den Grüften von individualer Selbstverdächtigung sinnlicher Bodenlosigkeit und Unkonstanz. Solche Anmaßungen kommen nicht von politischem Denken und Urteilen, sondern werden vom heutigen Staat durch riesige Geldsummen und soldatenhafter Personnage als moderne Irreführung organisiert und exekutiert: Affen Zucker mit brüllenden Fettbuben bei Wagners Tristan in Bayreuth, mit stinkenden Schweinekoben zur Documenta in Kassel und mit dem Langhaarigen, den man nicht vom Kreuz losbekam, in Oberammergau – für jeden Stumpfen etwas noch Niedrigeres als er selbst.
Mein Aufschluss zum „Hindenburg“ vom Sozialdemokraten Theodor Lessing wurde mir zum Zeugnis des Schönen? Als ich den Text immer wieder las, arbeitete es wühlend in mir, weil ich darin eine Art meisterlich schönen Appell empfand, den Autor Lessing – biografisch verstanden – gegen seinen eigenen Sozialdemokratismus geben zu müssen glaubte. Lessing bezeugt Hindenburg (1847-1934) in Hannover glaubhaft. Die Vollkommenheit des Wertbildes des berühmten Berufssoldaten preußisch-absolutistischer Tradition – als humanistische Hoffnungslosigkeit vorgelebt – anerkannte Lessing machtpolitisch. Er beschrieb damit seine eigene Abwegigkeit sozialdemokratischer Ideale, die Lessing bis in den Tod antrieben. Mir gilt dieses Zitat als ein Fall, in dem die Hässlichkeit völlig undialektisch schön geschaut und geformt worden ist. Erstaunlich, dass gerade moderne Sozialdemokraten an die Läuterungskraft des Hässlichen glauben machen wollen. Hat nicht der expressionistische Zweite Weltkrieg als Fanal der Moderne erinnert, was man längst vom schwedischen Krieg, ab 1630 im Dreissigjährigen Krieg, ohne viel Träumerei weiß: Modernes Water Boarding ist keine Steigerung des Schwedentrunks aus Jauche.
Ich wehre mich mit dem Schönen von Kunstwerken, deren Natur durchaus immer singuläre Emanation sind und nicht einem traditionellen oder bezwecktem do ut des gefolgt geschaffen wurden – derer ich in meinem Lebensbogen habhaft wurde: Georges de la Tours lebensgroßer „Jesusknabe, wie er den Alten beim Zimmern des Kreuzes mit Kerzenschein beleuchtet“– ich habe es in vielen hingebungsvollen Stunden andächtig in den 1970er Jahren betrachtend studiert und in mehreren Varianten mit Ölfarben auf Leinwänden selbst wieder gemalt. Unvergleichlich fasziniert war ich von Michelangelo da Caravaggio (1571-1610) und seinem bestechenden Naturalismus im somnambulen Zugriff, schon als 14-Jähriger, ganz junger Meistermaler – ja, warum denn nicht. Viele Stunden habe ich dem Kopieren dieses kleinen Stilllebens „Canestra di frutta“ gewidmet. Insgesamt habe ich fünf Früchtekörbe der teueren Malerei gemacht, demütige Quadratzentimeter, immer erneut bestellt, für reichlich gebrauchtes Bezahlgeld. Weitere Malerei der extremen Schönheit vom Schweizer Violinisten Paul Klee – als Wunder der Striche und der Farben und des Charmes und seiner sämtlich gemeisterten Bildformate. Wer mir angesichts von Paul Klees „Zwitschermaschine“ widerspricht, soll sich die Schönheit all der Farbfeldbilder betrachten, deren exklusive Schönheit schon mit einem unschön gedachten Strich kaputtgingen. Sogar Klees Materialnotbilder zum Kriegsende, oft Collagen aus Zeitungsmakulatur, sind Schönes von Paul Klee. Paul Klee liebte Henri Rousseau (1844-1910). – Ja, hingehen, schauen, wie der Löwe im Busch brüllt und die Zigeunerin neben der Laute schläft. Ich habe den Isenheimer Altar von Mathias Grünewald (1480-1530) in Colmar Unter Linden immer im Sinn, immer auch die wirklich alternative Vielfalt im Schönen erachtend – wer Rousseau liebt, wird auch Grünewald lieben und umgekehrt; beide könnten auch im Grünen Gewölbe von Dresden aufgestellt sein. Wer wegen der Corona-Misere nicht nach Frankreich darf, wird auch in Creglingen, im fränkisch geprägten Main-Tauberkreis, den geschnitzten Marien-Altar von Tilmann Riemenschneider (1460-1531) von 1505 in der Herrgottskirche mit eben solcher Innervierung sehen, dessen anmutige Schönheit mich zu Zeiten (1975) sprachlos machte.
Und der Kürze dieses Schlusses halber noch Piero della Francesca (1415-1482), der mit Frescomaltechnik für weitere Faszination sorgt: Pieros Madonna del Parto in Monterchi – das ist das Schöne als Sensibilität, das nicht dekadent und nicht schwächlich zart ist, sondern mächtig, in den Farben wie Perlmutt, in den Zeichnungen der psychologischen Erfassung und in der Bildarchitektur, wie es auch in dem abschließenden Text einer Fußwanderung in der Toskana als szenische Schönheit im Geschehen beim Lesen situativ aufscheint. Man hält mit Adalbert Stifter den Globus gegen den Horizont und sieht den Architekt als Weltenrichter. Piero della Francesca zitiert im Henri Focillon (1881-1943) Architekt und Universalist Leonbattista Alberti (1404-1472) mit dem Schönen als Worte so:
„Als Architekt gehört Piero della Francesca offenbar noch einer Zeit an, die der alten Kunst verpflichtet ist, er erachtet es als seine Aufgabe, die alte Kunst zu neuem Leben zu erwecken, sie neu erstehen zu lassen. Er selbst hat sich in Rom gründlich umgesehen. Seine Zeitgenossen sind der Kirchenbauer Brunelleschi …Das Bedürfnis nach Ordnung, nach Logik geht über die nur konstruktivische Richtigkeit und rein materielle Exaktheit hinaus. Hier nun setzt das Schaffen Pieros ein … führt er, in Übereinstimmung mit Alberti, in die Malkunst eine Architektur ein, die nicht ausschließlich römisch ist, sondern einem universaleren Prinzip gehorcht. Diese Baukunst ist geschaffen für das glückliche Dasein, sie drückt die Poesie eines glücklichen Menschseins aus. Man lese folgende Beschrei–bung, die Alberti von der idealen Vorstadtvilla, vom idealen Landhaus gibt: <Wenn jemand die Stadt verlässt, dann sollte ihn sein Landhaus mit seiner einladenden Fassade von Ferne grüßen, wie um ihm zu sagen, „Man erwartet dich“. Deshalb möchte ich, dass es in erhöhter Lage stehe; das Gelände darf aber nur unmerklich ansteigen, der Ankömmling soll erst, wenn er oben ist, merken, dass er gestiegen ist; erst wenn er das weite Land entdeckt, das er von da überschaut. Und rings herum will ich blühende Wiesen sehen, Felder im Glanz der Sonne, und schattenkühle Wäldchen, klare Brunnen, Bächlein, kleine Seen, die zum Bade einladen. Ich möchte schließlich, dass die Baumasse auf allen Seiten aufgelockert, und von aller Schwere gelöst und befreit ist, dass goldenes Sonnenlicht überall hereinfluten kann, dass es überall luftig ist, licht und hell …„Das wird nun das Ende: „… Damit, wer über die Schwelle des Hauses getreten ist, zögernd sich besinnt, weiter ins Innere zu dringen oder aber im Gegenteil stehen zu bleiben am Ort, wo er gerade ist, da er von allen Seiten her die Lockung des Wohlseins und der Erfrischungverspürt …„.
Der vierundzwanzigjährige Walter Spies (1895-1942), schrieb an seinen Vater – er wollte seine noch wackelige Berufswahl als Maler durchsetzen – im Jahr 1919 aus Dresden nach Berlin: „… Meine ersten Zeichnungen waren immer schon von irgend etwas beeinflusst, ich konnte für mein Alter viel zu gut zeichnen, und die Phantasie, die man sonst bei Kindern findet, konnte deshalb nicht frei wirken.Ich zeichnete doch immer nur Tiere, und diese nicht einmal „aus dem Kopf“, sondern ich zeichnete sie meist ab. Und dies wird auch der größte Fehler gewesen sein! auch hatte man mir einen bestimmten „Geschmack“ beigebracht, das schlimmste, was einem passieren konnte. Und jetzt merke ich es ganz besonders, wie an mir dies alles haftet und wieviel Mühe es kostet, es zu überwinden.// Ich möchte absolut werden in allem. Es ist ein Blödsinn, von „Geschmack“, von „Schönheit“ zu reden, es sind dies alles enge Rahmen, die sich eine bestimmte Künstlergruppe setzt, es steht dann einfach der eine unter dem Einfluss eines anderen. Wenn einer von den Stärkeren etwas „schön“ findet, so quatschen es die Schwächeren ihm nach, und alles, was darüber hinausgeht, wird als hässlich proklamiert. Der Begriff „Schönheit“ soll für jeden einzelnen subjektiv sein.Man kann überhaupt nicht von Kunst objektiv reden. Wenn ein Kritiker über ein Kunstwerk redet, so redet er ausschließlich über sich selber, über seinen „Geschmack“, aber ganz und gar nicht über das Kunstwerk. // Jetzt vom „Können“! stell Dir vor, Papa, wie doch die Phantasie in Schranken gehalten wird von diesem verfluchten „Können“. Es ist wie eine Rinne, wie ein Flussbett, in das sich die Phantasie von vornherein ergiesst, und deshalb ist sie immer nur darauf angewiesen, eine bestimmte Richtung einzuschlagen, eine von diesem „Können“ bestimmte. Wenn dieses nicht wäre, wie frei könnte die Phantasie dann in alle Richtungen schalten und walten, ohne Rahmen, grenzenlos! Wieviele Möglichkeiten sind einem doch dadurch genommen, dass man „kann“! Zum Donnerwetter, das ist und ist nicht das „Können“, was zu schätzen ist. Was habe ich davon, wenn ich nach jahrelangem Studium es dahin bringe, ganz fabelhaft geschickt zu zeichnen?! Ich bin fest davon überzeugt, dass es beinah ein jeder durch Fleiss erreichen kann, ebenso wie das Klavierspiel bis zur Virtuosität bringen, oder lernen, Fugen zu schreiben, siebenstimmig nach vorwärts und rückwärts! Es ist dies alles einfach Kunststück! Feuerwerk! Darin steckt doch nicht die Individualität, die Seele des Künstlers, die doch ganz allein uns interessiert! Nicht, „wie geschickt“ es ein Künstler bringt, sondern „wie es empfunden“, wie „individuell dargestellt“, wie „anders als die anderen“! Wenn man naturgetreu etwas „kopiert“, so ist das nichts als „Können“, das ist Handwerk.// Man sagt von neueren Kunstrichtungen, dass sie gewollt, gesucht sind, aber gerade darin drückt sich doch am meisten die Persönlichkeit des Künstlers aus. Stell Dir vor, dass alle Künstler von nun an nur blödes dadaistisches Zeug zusammenschreiben und malen würden. Wie herrlich interessant wäre es zu beobachten, wie es ein jeder einzelne machen würde, wie sofort die verschiedenen Persönlichkeiten zu sehen sein würden! Das freieste absolute Schaffen wäre da! Ohne solche Rahmen wie „Sinn“, „Logik“! Das sind doch auch alles Rinnen, Flussbetten. Der Dadaismus ist das einzige, was noch Existenzberechtigung hat, denn es ist das Blödeste vom Blöden und deshalb das einzige Vernünftige in der Kunst! Dies wird Dir paradox erscheinen, es ist aber wirklich so, war und wird es sein.“Um noch mehr Farbe und Raum zu dieser ungeklärten Mischung aus Individualität und Persönlichkeit zu geben, noch aus dem selben Brief: „wieso … wie ein Humperdinck es ihm vormacht?? Durch die Übungen, die er jetzt allein treibt, hat er sicher doppelt soviel gelernt wie im Laufe seines ganzen bisherigen Studiums. Wir haben zusammen eine sehr interessante Methode erdacht, um Kompositionsübungen zu machen! Wir pfeifen zweistimmige Symphonien. Es ist furchtbar interessant, wie man sich fortwährend gegenseitig beeinflusst, d. h. man arbeitet gemeinsam an einer Sache, die eigentlich keinem von uns ganz eigen ist; als Übung für Stimm- und Melodieführung ganz großartig. Man kommt auf die verrücktesten Einfälle. Schade, dass wir nur zu zweien dabei sind! // Wieder von der Malerei ein bisschen. Gucke Dir nur von diesem absoluten Standpunkt aus die expressionistischen Bilder an. Es sind nur zwei Künstler unter den Modernen, die wirklich absolut sind! Jeder in seiner Art natürlich. Es sind dies: Paul Klee und Marc Chagall. Die blödsinnigste Phantasie und krasse Prosa von Marc Chagall. Und die tiefe, tiefe Philosophie und feinste, zarteste Poesie von Klee. Beide haben das „Können“ überwunden. Was für eine Reinheit und Naivität der Empfindung der beiden! Die sind eigentlich die zwei ein-zigen Wege, die die Kunst jetzt einschlagen kann – der dritte natürlich der, den man selbst zu finden hat. Und ich glaube, dass ich ihn schon gefunden habe oder wenigstens nahe daran bin. Ich will auch „absolut“ werden in Form und Linie! All die Bilder, die ich jetzt hier gemacht habe, sind Vorstudien dafür, in ihnen sieht man die letzten Reste der mir als Kind schon eingeimpften Vorurteile, wie Geschmack und Harmonie der Farben. Ich glaube, dass ich jetzt eine Krisis durchmache. Entweder wird es überhaupt nichts, oder es wird was sehr, sehr Herrliches! Hoffentlich geht alles gut, wenn nicht, so werfe ich die Kunst ganz und gehe irgendwohin aufs Land als Arbeiter. Es ist auch schön, überhaupt ist alles auf der Welt himmlisch!… Genug des Blödsinns, der viel zu wenig Blödsinn ist, es wird ja doch nicht dazu kommen! Vielleicht „leider“! Die Kunst muss und wird mit der Zeit ganz abgeschafft werden. …“
Ich lege, anders als Walter Spies, darauf wert, dass wir sowohl eine fassbare Quantität wie auch das qualitative Ohngefähr – wie von Nietzsche vorgestellt – erspüren können. Darin steckt gerade die Individualität, die eine soziale Erlebniswelt begreifen möchte. Ich unterscheide schön und nicht schön (doch nicht binär, als Gegensätze, so wenig ein Tisch das Gegenteil eines Stuhles ist). Doch wir verkleben in einer rigorosen modernen Irrlehre, die – so nennen sie es – „wider die Diktatur des Eindeutigen“ ihre Modernität als kritisch, individualistisch und zwar durchaus mit regider Eindeutigkeit, ohne Humor oder Ironie politisch erzwingt.
Doch das unabweisbare Schöne findet sich objektiv in der Individualität eines jeden Menschen. Das Schöne ist im individuellen Bewusstsein jedes einzelnen verankert. wie es von jedem durch Weitersagen bezeugt und variant objektiviert werden kann, besonders auch jeweils, wo ein Glücksgefühl gerne bezeugt wird und gegenüber weniger Schönem und Nichtschönem. Walter Spies hätte vermutlich viel Freude am Auswerfen der Steinworte gefunden, die vielfach übers Wasser hüpfen..
Ich nenne das Schöne höchst wertvoll. Denn es geht um unser Leben und das soziale Gelingen. Meine Bezeugung ist kein Versuch. Versuch zu nennen, nur weil das Schöne etwas Scheues ist, auf das man nicht hinzeigen kann wie Albrecht Dürer (1471-1528) auf seine Blinddarmschmerzen, wäre eine Selbstwahrnehmungsverirrung. Wer persönlich betroffen ist von der ins Abseits organisierten Schönheit für die zeitgenössische Kunst darf gegen moderne Meinungspolitik angehen. Als eine Streitschrift ist das hier aber nicht gemeint. Ich streite nicht um Grade, ob es mein Gott, mein Leben, meine Arbeit, meine Mühe, meine Liebe ist. Ich bezeuge nur, wie mit politischer Gewalt das Schöne der Kunst denunziert worden ist und noch weiter wird. Stattdessen multipliziert die Kulturindustrie den wilden, wagemutigen, ehrlichen, freien Staatsorganisations-Künstlerismus einer Salonpersonnage als „moderne zeitgenössische Kunst“. Man vernichtet und verunglimpft die Zeugen und trifft das Schöne und deren Protagonisten durch völlige sozialpolitische Diskredition. Darin steckt eine schöne Glücksbezeugung durch Verkommenheit und Vorteilsnahme. Zwar konnte und kann das Schöne an sich überhaupt nicht ausgemerzt werden. Aber in der Fake-Kunst lebt die Hässlichkeitsmoderne, als wären die Ärzte auf der Quarantänestation alle schwerstens mit Coronaviren infiziert. Sie spielen sich selbst verfassungswidrig mit Staats-Kunsturteilen und als „hochkarätige“ Kulturreiter auf – ich nenne hier nur den Kölner FDP-Gücksritter, den Rechtsanwalt und Ex-Bundesinnenminister der RAF-Zeit: Gerhard Rudolf Baum, noch heute Mitspieler der SPD-Kultur-politischen Gesellschaft Hagen, seit vierzig Jahren einer der Oberentscheider für die OKF (Organisierte Kunst Förderung in der Bundesrepublik Deutschland), für Salonpersonnage und die Vernichtung des Schönen im staatlichen Regulierungskanon. Man sollte als Jurist zumindest für die Freiheit der Kunst den verfassungsgemäßen Mittelmodus der Pluralität wieder zulassen. Und wer sich gelegentlich des Schönen eine Verunschönerung dazu denkt, wird leicht erkennen – wie er selbst sagen würde – ganz schön, unschön, sehr schön -. Es hilft nicht, wenn in Donaueschingen Musikstudenten hingebungsvoll Dodecaphonie demonstrieren, aber die neueste „Wiener Schule“ ausjuriert wird. An den Bildern erkennt man den Maler. Am systematisch belegten qualitativen Sprung erweist sich der Wissenschaftler und der Komponist an der empfindsamen Phrasierung seiner Töne. Es ist schön, wenn im Metier Sinn aufleuchtet.
Meine eigenen Erlebnisse mit dem Schönen in der Freiheit meiner Kunst reichen in die früheste Kindheit zurück. Sie betreffen die dem Kind unendlichen Stapel von leeren Karteikarten im elterlichen Vertiko und die Freiheit mit der Länge der Arme auf Zehenspitzen die oberen Schubladen von unten aufziehen zu können, um die heissbegehrten „Mittel“ herauszuziehen. Darauf wurden unendliche Geschichten mit Liebe und Begeisterung (Stifte, Kugelschreiber) dargestellt. Später im ersten Schuljahr bemalte ich freiwillig die grössten Packpapierbögen mit den unzähligsten buntesten Ostereiermustern dieser Welt, wo andere mit einzelnen ärmlichen Bleistiftkringeln ihrem Zwang Ausdruck gaben. Es kam mir das Schöne aus der Hand, aus dem Wunsch, meinen Augen Spuren meines Eigensinnes zu schenken, ursprünglich unbemerklich von sozialer Resonanz oder Bezeugung, zunächst frei von Lob, Belohnung, Tadel oder Strafe. Mein Vater konnte hervorragend zeichnen und malen, meine Mutter freute sich über alle solche Regungen. Man kann Feminismus und Maskulinismus in der Tiefe studieren. Auch die Überlieferungen mit matriarchalen und patriarchalen Ideen, mit Schlachtenlärm, Schwedentrank und tödlichem Siegen lassen sich geradezu naturwissenschaftlich betreiben. Wer sein Schicksal umarmt, ob männlich oder weiblich – gewinnt die gefragte Schönheit. Wir dürfen darauf hoffen, unser abendländisches Bildungsgewese der Moderne als Vorurteil zu erkennen, die Schlüsselfunktion der Vorbilder zu erkennen und das Genie für das Schöne in das mögliche Sein erblühen zu lassen. Wenn die weiblichen Brüste Männer einschalten, finden die das schön, zeigen oder nicht, feminieren dagegen oder nicht, und nehmen letztlich ihr Recht auf Selbstveränderung wahr, mit Schleier oder im Frauenhaus. Dabei ist Modernisierung an sich ein totales Phänomen, wie die Zeit, die Sonne, der Wandel und der Stoffwechsel. Aber Unqualifizierte und Unmotivierte zur dominanten Quote als Legitimation für Schönheits-Feindschaft in Stellung gegen Künstler einzusetzen, die überhaupt noch wissen, was Schönheit bedeutet, ist Merkmal der stürzenden Spätkultur. Mittlerweile wurde die SPD-Salonpersonnage von Genderienen aus den Schlüsselfunktionen der OKF verdrängt. Wunderkammern – schauen Sie nur – werden dem Publikum und zukünftigen Künstlern überlassen. Essen bleibt uns nicht erspart – schön sollte es sein.
Alphons Silbermann, der mir Émile Durkheim und Induktion brachte, möchte ich meine Hochachtung und Dank aussprechen. In seiner wunderbaren Autobiographie „Verwandlungen“ fand er, auf kurzem Sprachweg zu schreiben: „… mit Reminiszenzen an die schönen Tage von damals angefüllten Plauderstündcheni“. Hendrikje Gröpler hat mir zehn Jahre geduldig beigestanden, als ich um die Publikation meiner längst von höchster Warte (Alphons Silbermann) zertifizierte Dissertation gegen die Blockade-Femineuse, Publikations-Vorsitzende Dr. Marlis Krüger, kämpfen musste (ich habe die drei vor Augen).
„Die Wahrheit ist eine philosophische Konstruktion. Der gesunde Menschenverstand ist nicht gesund. Alles fließt schön“ – ist doch schön. Am Schluss von Augustinus‘ Gottesstaat steht ein Hymnus auf die Schönheit des Irdischen. Viele japsen schwimmend nach Luft, Begabtere fummeln rum. Mir scheint – zumeist jedenfalls: Wer das Schöne kennt, will auch das Schöne. Ich wähle hier schließend, von meinem Paten, dem zarten harten Nietzsche: „Die Welt ist sehr leer und verdankt alles, was an ihr prächtig erscheint, dem verklärenden und verschönenden Menschengeist.“
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Dietmar Moews meint: Es gelingt mir nicht nachzuvollziehen, dass es modernde Menschen gibt, deren Denkweisen sehr ungeklärt und verschrumpelt sind, nicht erkennen wollen, dass sie ihr gesamtes Lebens nach dem Prinzip des schönen, wahren, Guten un dem Gelingen ihrer Aktivitäten streben – was oft nicht gelingt, gerade, weil Schön und richtig klar unterschieden wird zu nichtgelungen – aber diese geradezu Lebenserwerbs-Methode abgelehnt wird und stattdessen lieber von Kritik der Kritik zur verschraubten Gegnerschaft zum Schönen herausgekehrt wird. (Mag es Feindschaft zum Schönen wegen des ständigen Scheiterns sein).
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