Lichtgeschwindigkeit 5116
am Sonntag, 23. November 2014
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Heute kann über einen Museumsbesuch in Münster erzählt werden, mit dem eine bedachtsame Totensonntagbenutzung zum Zuge kam.
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Totensonntag, der in den Kalender der Allgemeinheit eingetragene Toten-Gedenktag, hat in der Brauchtumsveränderung, vom Familiengrab zur Ascheverstreuung oder zum anonymen Urnenfriedhof im Wald, doch für jeden Menschen eine persönliche Evidenz.
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Aus der individuellen sozialen Lage heraus ergeben sich soziale Begebenheiten, dass andere über Tote und den Tod sprechen möchten oder dass man selbst was über demnächst Sterbende, bereits Gestorbene oder über den Tod reden möchte oder überhaupt mit irgendwem über irgendetwas reden möchte – wenn Sonntag ist.
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Zwischen „keine Zeit für Sowas“ und „keiner hat Lust zu Reden“ oder eigenen esoterischen Farben und Stimmungen, wenn es um Leben und Tod geht, finden dann Totengedenken, Verlustbeklagung, Angstbeschwörungen wie auch Verbrüderungen und Verschwesterungen unter Lebenden: „So jung kommt man nie mehr zusammen“ zum Anklang.
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Manchmal ist es mehr als nur die anwachsende Streichliste, der im vergangenen Jahr verlorenen Zeugen des eigenen Lebens.
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Oft sind es auch diejenigen zwar längst nicht Gestorbenen, aber in geschwächter sozialer Lebensweise immer mehr schwindenden. Man hört weniger. Die Balance der Verhaltensökonomie wird auf unbeweglichere, sicherere Weisen gestellt, während früher Leichteres umherflog oder in kindlicher Leichtigkeit die für Momente völlige Todesferne ausdrückte.
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Ich habe heute das neueröffnete Kunstmuseum LWL in Münster, die Malerei-Ausstellung „Das nackte Leben“ und den Dom besichtigt.
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EUAN UGLOW Akt im Liegestuhl Öl auf Leinwand
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Das Landesmuseum Westfalen-Lippe für Kunst und Kultur („LWL“) umfasst Kunstgegenstände vom frühen Mittelalter bis heute. Man kann in dieser Sammlung alle wichtigen Kunststile mit hervorragenden Einzelwerken kennenlernen. Dazu kommt der traditionell mit dem LWL verbundene Kunstverein, der die aktuelle Ausstellung und Publikumsprogramme organisiert. Träger sind Land NRW und die Stadt Münster sowie die Bürger privat.
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Den Museums-Neubau hat der Berliner Architekt Volker Staab entworfen. Der Entwurf Staabs legt zusätzliches Gewicht darauf, dass sich der Neubau in die vorhandene kleinteilige Bebauung einfügt. Durch einen neuen Vorhof am Domplatz, durch innere Lichthöfe und ein großzügiges Foyer soll das Erdgeschoss des Museums in die innerstädtische Wegführung einbezogen werden. Auch optisch will sich der Neubau mit seiner Sandsteinfassade bzw. hellen Kunststeinwände am baulichen Umfeld orientieren.
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Das auf geschmackvolle Reize abgestimmte Raumordnungskonzept der Umgebung des Münsteraner Doppel-Chor-Doms (mit dem Denkmal des Graf August Clemens Kardinal von Galen) und einem sensationellen Glockengeläut, steigert mein Lebensgefühl. Der momentan hellfarbene alte frühromanische Dombau geht auf die christliche Frühzeit des Constantin zurück.
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Der Museumsneubau ist hervorragend einplaziert im bestehenden Raumensemble. Aber es hat Herr Architekt Staab einen Baukörper gegliedert, der mit völlig klaren Fluchten, hellen einfarbigen Kunststein-Sichtbetonwänden, funktionierende Portaleingänge an mehreren Seiten, freundlich empfängt – dazu ein reichliches, gut gekleidetes Münsteraner Publikum.
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Durchsichtigkeit aus allen möglichen Ein- und Ausblicken zu den weitest barrierefreien gewidmeten Räumen, vom Foyer,Treppenaufgänge, Bibliothek, Museumsshop, hervorragende Caférestaurant mit einer wunderbaren Auswahl an Spitzen-Sahnetorten, frisch, meisterlich und eigenartig (Maracuja mit Pfefferminz-Sahne – sehr besonders die doppelwandige Jena’er Glastasse), Funktionsräume, Garderoben, Toiletten, in die variablen Ausstellungsräumen:
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Ab der Eröffnung, ab 8. November 2014, der neuen Ausstellung von Bildern gegenständlicher Malerei aus London, seit etwa 1930, noch aktive Maler und längst tote: „Das nackte Leben“
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Die internationale Gruppenschau (bis 22.2.15) eröffnet das Ausstellungsprogramm und weiht die knapp 1.000 Quadratmeter großen Sonderausstellungsräume im Museum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) ein.
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Diese erste große Kunstausstellung widmet sich der gegenständlichen Malerei in London mit Arbeiten von Francis Bacon, Lucian Freud, Frank Auerbach, Leon Kossoff, David Hockney, Richard Hamilton, Euan Uglow und anderen. Zu sehen sind rund 120 Arbeiten von 16 Künstlern, die zu den Meistern der figurativen Malerei des 20. Jahrhunderts gehören. „Wir freuen uns, dass wir Leihgaben aus den USA, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien, den Niederlanden und aus Deutschland in unser neues Museum holen konnten“, sagte LWL-Direktor Matthias Löb am Mittwoch.
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„Die Ausstellung wird das internationale Profil des Hauses schärfen und es unter den wichtigsten deutschen Kunstmuseen positionieren.“
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Dietmar Moews meint: Liebe Leserinnen und lieber Leser hier, meine Empfehlung zum Totensonntag:
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Gehen sie in eine interessante Kunstausstellung – interessant, wo es für Sie etwas zu sehen gibt, das Sie sehenswert finden.
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Für mich waren es in Münster – zum Beispiel im Vergleich zu Bonner Kunsthalle und der dortigen läppischen Restaurant-Café-Peinlichkeit – das wunderbare, barrierefreie neue Kunstmuseum LWL, mit perfekter Beleuchtung, dezenten, manchmal in den Ausstellungs-Sälen etwas willkürlichen Wandtönungen (tiefrot vor überlebensgroßen gothischen Sakralfigur-Skulpturen auf kippligen, viel zu schlanken Rundsockeln und aber wunderbaren Terrazzo- und dunklen Holzböden, in den Treppen-Kunststeinwandungen eingehöhlte Handläufe –
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mehrere großformatige Meistermalereien aus der großen 1960er und 1970er Popzeit von David Hockney (geb.1939) – sein bestes Gemälde (in Ewigkeit für diesen Maler) mit dem Vermeer-Fenster-Anschnitt genialer Lichtfärbung (dann sehen auch Idioten, die Qualität im Vergleich zu dem Schwulen auf der grünen Liege, wo er sich nicht annähernd so viel Mühe gegeben hat) und sowie
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von dem mir bis dahin nicht geläufigen hervorragenden Malers Euan Uglow* (1932-2000), NEUENTDECKUNG in Deutschland, mit Nähe zu Karl Hofer und Richard Diebenkorn – siehe ganz unten und Abbildung auf der Einladung und den Eintrittskarten
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sowie dem im hohen Alter noch zu einer ganz beachtlichen (Willi-Sitte-) Farbfleischlichkeit und meist etwas peinlich gefriemelten Akten gekommenen Lucian Freud,
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dem von mir stets farblich als plump empfundenen Francis Bacon,
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dem in der 1960ger Popart-Malerei führenden R.B. Kitaj oder mit Alan Jones als lokalfarbigem Briefmarken-Designer
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sowie einigen Kunstgewerblern, die an die Neue Sachlichkeit erinnern und an Hausfrauenkunst des Giso Westing in Braunschweig.
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12 Euro Tageskarte.1 Euro Garderobe, 6 Euro Torte und Capuccino.
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*EUAN UGLOW (1932-2000): Die Schau ist in sechs thematische Räume gegliedert, die zum Beispiel dem Umgang der Künstler mit dem Material, ihrer Auseinandersetzung mit klassischen Gattungen und ihrer Arbeitsweise gewidmet sind.
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Hier sieht man in einer Vitrine einige der Fotos, nach denen Bacon malte, manchmal riss er alles Überflüssige ab, so dass nur eine Figur blieb. Hier sieht man Skizzen und Zeichnungen von Auerbach und Kossoff. Und zu Euan Uglows Bild „Flour Man“ ist das Modell ausgestellt, eine Plastik-Werbefigur von 1964.
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Uglow liefert auch mit „The Diagonal“ (1971-77) das Plakatmotiv der Ausstellung. Man sieht eine nackte Frau auf einem Klappstuhl. Sie hat erkennbar die Muskeln angespannt, der Körper berührt den Stuhl nur an zwei Stellen. Das sieht ästhetisch aus – aber der Künstler wollte, wie der Bildtitel schon sagt, vor allem eine ungewöhnliche Diagonale darstellen. Wenn man genau hinsieht, findet man im Bild Punkte und Hilfslinien, die den konstruktivistischen Charakter des Werks betonen. „Es hätte auch ein Brett sein können“, sagte Uglow. Aber ein Mädchen sei interessanter. Und diese irgendwie sehr britisch ironische Doppeldeutigkeit zeigt eine andere Facette des „nackten Lebens“.
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He was a figurative painter of what has been called the School of London, and his reputation was built on hard-won images, on relentless looking and describing. His art was founded on empirical measurements, on constant revisions, on a technique that was anything but flashy. His paintings bore the imprint of his repeated returns to the minutiae of observation.
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Almost 50 paintings, spanning a half-century, the earliest dated 1949, the last left unfinished in the artist’s studio at his death, are now at the Abbot Hall Art Gallery in Kendal. It is a fascinating show, of an artist who seems more peculiar as time goes by. Uglow was a student at the Slade of William Coldstream, whose own life paintings had about them a chilling air of self-denial, and Uglow went on to develop Coldstream’s approach through his own years of teaching in the same art-college life room. To me, it always smelled like a death room; every year a new crop of belated Euston Road painters would emerge from it, their pallid painted figures nicked with little registration points and tiny painted crosses, like so many torture victims, done-over in shades of umber and grey.
A style like any other, this was and is a look masquerading as a moral quest. About it all hangs an air of futility, and a sense of something murdered: Cézanne with the vitality strangled out of him, Walter Sickert neutered, David Bomberg’s obstreperous painterliness turned into a kind of dry accountancy. Here, the act of looking and recording is presented as a joyless test.
Uglow’s own paintings are, on the other hand, often colourful, but it feels like studio colour rather than the uncontrollable colour and light of the world. His blues are always the same blue, the reds and pinks invariably mixed from the same base hues, whether he is painting skin, the studio floor tiles or the decorated facade of a church in Cypress. Not that Uglow ever used much paint in any case. Like so much else in his art, touch is suppressed and pleasure is deferred. In the end, there is something fussy about Uglow’s art. He lets you see all his difficulties, all those mechanical notations, the surveyor’s plot-lines under the paint. This is an irritating affectation, and I find it hard to ignore his tiresome marginalia. It is as if he wanted us never to forget how much trouble he had.
He had a real thing for putting a naked model in an awkward pose. For session after session, he would seat her uncomfortably on a folding chair, make her lie on a stool too small to support her legs, or insist that she stand, hour on hour, bent over with her hands on her knees, her face directed to the floor. Uglow made huge demands on his models, but his art suggests that he regarded this as nothing to his own labours.
Uglow liked a good shape, but always took the hardest route to achieve it. He either didn’t trust pure imagination, or it was too volatile and dangerous for him. Clearly, the act of painting, and ordering his perceptions, meant more to Uglow than the painting itself. He insisted that he looked at a live model no differently from any other kind of object. This is ridiculous and self-deluding. His paintings tell another story. He takes long hard looks at nipples, bums and pubic hair.
His paintings have in them something of the quietude of Giorgio Morandi, but they entirely lack Morandi’s vitality, that tremor of life and presence. I think there is more human warmth in a dusty little Morandi painted pot than in most of Uglow’s figures, which often look more like folded card models of aeroplanes than human beings. When, occasionally, Uglow wanted us to see what a fun guy he really was, he would paint a novelty toothbrush as though it were a person (the green brush has breasts and an arse, and stands on little feet), or ask the model to pose in a way that he thought echoed the Japanese bridge in one of Monet’s waterlily paintings. Instead, the model looks dead, or like a discarded marionette.
Uglow’s paintings often took a very great deal of time. Many of them took years. Maybe he was measuring time as well as his perceptions. Models age, and fruit withers. The Spanish „realist“ painter Antonio Lopez Garcia spent an entire summer trying to paint a quince tree, and failed because the fruit would insist on ripening and dropping, the leaves shifting and curling. Despite all his efforts, he couldn’t get it right. Victor Erice’s 1992 film, El Sol del Membrillo (The Quince Tree Sun), is a document of the impossibility of the task Lopez set himself, and a celebration of how the world gets the better of us. Lopez used many of the same techniques as Uglow in order to capture his subject exactly – dropping string plumblines between himself and the subject, placing little marker points on bits of paper and pinning them to the tree itself, so as to paint it exactly as it was. But the tree and the weather, oblivious to all this, insisted on constant change. So it was with Uglow’s subjects. His little painting Diary of a Pear recognises this. The damn fruit kept rotting and shrivelling and Uglow kept having to begin again with a fresh pear. Uglow’s models weren’t so lucky. One woman reckoned she spent seven years in the same pose, for a painting which, to my eye, is still unresolved. At least lightbulbs – another Uglow subject – don’t change.
While in Kendal, the director of Abbot Hall, Edward King, showed me some photographs he had taken of the dwelling-cum-studio where Uglow lived and worked in south London. One is struck by its asceticism, and at the same time by the accumulation of characterful junk Uglow kept about him. In the interview with Martin Gayford included in the catalogue, Uglow remarked, defiantly: „I’m not a pop artist. I don’t have a television. I’ve got a wind-up gramophone that’s gone kaput. I have a wireless.“ He slept on a single iron bedstead, with an old chair as a bedside table. He cooked on a 1920s stove and sat at an improvised table. Around him were the home-made backdrops and props of his paintings, the string plumblines and horizon lines that hung from rafters to floor and across portions of the studio. The floor, too, was marked with tape and paint, indicating where chairs must be placed, feet positioned, the easel angled for those interminable poses. It was a place of almost monastic dedication, perserverence and repitition. Maybe Uglow had somewhere more homely to go where he led an even more private life, but I don’t know of it. If he created sets and backdrops for his paintings, so did he for himself.
It is as if Andrei Rublev, the Russian icon painter pitted against the unbelievers in the 1969 Tarkovsky movie, had moved to the Steptoe gaff. Uglow was once taken by David Sylvester to meet Giacometti in Paris in the 1950s; perhaps Giacometti’s existential atelier (recorded by his biographers as a total mess of plaster dust and fag ash) provided Uglow with his model and his style. Perhaps he later saw no reason to change, having charged himself with a certain crazy duty to his art, one that he believed required a particular kind of total vigilance. For some reason, all this strikes me as horribly bleak, and more than a little disturbing. So does Uglow’s art, with its rules, its measurements, its endless difficulty, its unsmiling pleasures.
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